Andrea Dorothea Schön, Senior Manager Climate and Clean Air Management, Schenker AG, Essen, erläutert, warum die Logistikbranche immer nachhaltiger wird.
logistik aktuell: Frau Schön, in der Corona-Pandemie machen sich Logistiker sicher Gedanken um das kurz- und mittelfristige Geschäft. Aber wie ist denn die Stimmung in der Branche beim Thema Nachhaltigkeit?
Andrea Dorothea Schön: Das Thema stößt gerade auf ein enormes Interesse, wir erhalten sehr viele Kundenanfragen dazu. Ich habe den Eindruck, dass die Corona-Pandemie und die gegenwärtige Situation dazu führen, dass Logistiker mehr über das Thema reflektieren. Es geht ihnen ja um die Robustheit der Lieferketten, und dazu müssen sie zwei Arten von Risiken kalkulieren: Zum einen die physikalischen Risiken – dazu gehört der Klimawandel mit all seinen Auswirkungen. Und die so genannten transitorischen Risiken, die das Business Modell betreffen und die sich spiegeln unter anderem in Regularien, die ebenfalls große Auswirkungen nach sich ziehen können. Dazu gehört beispielsweise der European Green Deal oder das (deutsche) Lieferkettengesetz. Hier liegen die Potentiale meist auf der Hand, doch muss der Logistiker auch die damit verbundenen Kosten abschätzen und einpreisen – und damit setzen sich immer mehr Unternehmen auseinander. Wir befinden uns also mitten im Wandel!
DB Schenker versteht sich als Vorreiter für Nachhaltigkeit in der Logistik. Wie äußert sich das?
Wir haben zum einen eine ehrgeizige Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen, die wir nun Schritt für Schritt umsetzen. Zudem wollen wir unsere Produktpalette um grüne Services erweitern und die Differenz zum „Business as usual“ auch preislich sichtbar machen. Das große Problem ist allerdings, dass die Carrier noch nicht in genügendem Umfang grün produzieren. Wir haben bei Luft-, Land- und Seetransporten noch viel zu wenig nachhaltige Transportalternativen.
Warum? Das Thema ist ja nicht neu?
Ein Grund ist, dass der Sprung zu nachhaltigen Technologien sehr viele Investitionen verlangt. Die Alternativen zu fossilen Brennstoffen sind teuer. Daher wurden die notwendigen Investitionen verschoben. Hier sind alle Akteure in der Politik und der Wirtschaft gefragt. Sie müssen die Kosten auf die Schultern aller verteilen.
Ein Beispiel ist die Dekarbonisierung der Seeschifffahrt. Die hierfür notwendigen Investitionen sind unmöglich von den Reedern allein zu stemmen, es braucht eine sektorübergreifende Anstrengung sowie letztlich auch eine Akzeptanz fairer Preise seitens des Konsumenten, praktisch ein Ausstieg aus dem „5-Euro-T-Shirt“. Wenn man die Kosten für nachhaltigen Transport entsprechend einpreist, wird im Übrigen lediglich ein minimaler Mehrpreis beim Endprodukt erwartet – und die Umstellung wird erschwinglich.
Also sorgen höhere Preise für grünere Lieferketten?
Nicht direkt. Aber wir erleben derzeit zwei Trends, die mit Kosten zu tun haben: Das ist zum einen die Verlagerung von Transporten auf nachhaltigere Verkehrsträger. Hier sind intelligente und wirtschaftliche Konzepte gefragt, um für sichere und nachhaltige Lieferketten die Vorteile eines Verkehrsträgers mit denen der anderen zu verknüpfen.
Der zweite Trend findet in den Städten statt: Angesichts der Staus und der Luftverschmutzung in den Metropoloregionen suchen viele urbane Regionen nach neuen Formen einer besseren Mobilität – auch das kostet viel Geld.
Was allerdings noch aussteht, ist die Neuorientierung des Sourcings. Die Hersteller werden die weltweiten Lieferwege erst dann verkürzen, wenn die Transportpreise die gesellschaftlichen und externen Kosten widerspiegeln und weltweit Mindestlöhne bezahlt werden.
Wie steht es um die Zusammenarbeit von Beteiligten einer Lieferkette, um in der Praxis Transporte nachhaltiger zu gestalten?
Solche Kooperationen sind sehr kompliziert. Theoretisch finden sie statt, dafür gibt es viele Plattformen. Aber meist endet die Kooperation, wenn es um Wettbewerbsvorteile geht. Kooperationen funktionieren, wenn es um Pilotprojekte geht, die nicht von einem allein gestemmt werden können. Ich denke, hier müssen die Beteiligten noch stärker aufeinander zugehen, und es ist sicher eine politische Aufgabe, solche Kooperationen attraktiver zu machen.
Ihre persönliche Einschätzung: Wo stehen wir in zehn Jahren?
Wir werden da schon sehr viel weiter sein als heute: Mobilität in den Städten findet dann idealerweise ohne fossile Antriebe statt. Die Lieferketten haben sich verändert, die Unternehmen prüfen genau, wie sie ihre Fracht transportieren lassen. Das bedeutet auch mehr Nearshoring: Das Sourcing findet im Radius unter 15.000 Kilometer statt. Und die sozialen Auswirkungen politischer Regelungen werden sichtbar, weil sich beispielsweise die Löhne in den verschiedenen Ländern angleichen. Die Globalisierung verläuft also nicht rückwärts, aber sie wird differenzierter!
Und wo sind da die Logistiker?
Die werden sich gewaltig weiter entwickeln – und viele haben ja schon wie DB Schenker damit begonnen. Diese Veränderungen müssen wir aktiv mitgestalten, was zu einer großen Aufwertung der Branche führen kann. Die überwiegende Mehrheit der Menschen sieht das positiv, gerade in der jüngeren Generation. Ich bin sehr zuversichtlich, dass uns der Strukturwandel in der Logistik gelingt!
Kontakt
Andrea Dorothea Schön
Senior Manager Climate and Clean Air Management
Global Sustainability, Schenker AG
andrea-dorothea.schoen@dbschenker.com
About the Author
Axel Novak ist freier Journalist in Berlin. Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigt er sich mit der Logistik-Branche und den Veränderungen, denen sie unterworfen ist. Axel Novak schreibt für Zeitungen, für Zeitschriften und für Unternehmen. Seine Schwerpunkte sind allgemeine Wirtschaftsthemen mit dem Fokus auf Mobilität, IT, Energie und Finanzen.