77 Prozent aller Deutschen wohnen in Städten. Und es werden immer mehr. In den kommenden 10 Jahren werden noch einmal ca. 1,6 Millionen Stadtbewohner dazukommen und der Anteil auf knapp 80 Prozent ansteigen. Auch dann noch wollen Menschen in der Stadt mobil sein. Und sie müssen mit Waren versorgt werden.

Die städtische Verkehrsplanung ist eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. Entsprechend lebendig wird die öffentliche Diskussion geführt. Der Fokus liegt dabei allerdings klar auf der urbanen Mobilität, das heißt dem Personenverkehr. Die Urbane Logistik wird nur wenig wahrgenommen. Dabei ist sie grundlegend für die Versorgung und mitbestimmend für die städtische Lebensqualität der Zukunft.

Die Bundesvereinigung Logistik (BVL) fördert daher aus gutem Grund die öffentliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Warenströmen innerhalb der städtischen Flächen in unseren Städten. 2017 wurde dazu der Themenkreis „Urbane Logistik“ ins Leben gerufen. Hier sollen Stakeholder und Akteure der städtischen Logistik in die öffentliche Diskussion und ins Gespräch miteinander gebracht werden.

Eine Studie, die in Zusammenarbeit mit der BVL entstanden ist, ist „Urbane Logistik 2030 in Deutschland. Gemeinsam gegen den Wilden Westen“ von Roland Berger. logistik aktuell will diese Studie zum Ausgangspunkt einer Reihe zum Thema Stadtentwicklung und Urbane Logistik machen.

Vom „Wilden Westen“ bis zur „Koexistenz der Großen“

Warum stellen wir diese Studie an den Anfang unserer Reihe zur Urbanen Logistik? Weil sie in zweierlei Hinsicht als eine gute Diskussionsgrundlage erscheint. Erstens liefert sie eine kompakte, treffende Beschreibung der Ausgangslage. Das heißt sie erklärt aktuelle Trends im Handel, die eine Zunahme des Lieferverkehrs mit sich ziehen. Zweitens untersucht die Studie systematisch zwei wichtige Rahmenbedingungen, die die weitere Entwicklung der städtischen Logistik beeinflussen. Diese sind zum einen die langfristige Entwicklung der Regulierung der Urbanen Logistik (Zu- oder Abnahme von kommunaler Verkehrssteuerung). Zum anderen geht es darum, ob sich eher intelligente Individuallösungen oder kooperative Gesamtsysteme durchsetzen werden.

In welche Richtung sich diese Rahmenbedingungen entwickeln werden ist noch nicht entschieden. Daher ergibt sich nicht nur ein mögliches Szenario. Roland Berger beschreibt stattdessen vier Richtungen, in die sich die Urbane Logistik entwickeln kann.

Die von Berger skizzierte Ausgangslage und die vier Szenarien sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Der städtische Transportbedarf nimmt zu

Aktuell sorgen neben dem reinen Wachstum der Städte drei Trends für eine Zunahme der urbanen Warenströme:

  • E-Commerce: Mit jährlichen Wachstumsraten von knapp 8 Prozent sorgt der Online-Handelt für stark zunehmenden Verkehr von Kurier-, Express- und Paketdiensten.
  • Kundenanforderungen: Zunehmende Transparenz im Einzelhandel befördert verstärkt den wettbewerblichen Druck um immer schnellere und individuellere Belieferung.
  • Anforderungen des Einzelhandels: Der Trend zu flexibleren und kleinteiligeren Bestellungen bei abnehmenden Lagerkapazitäten führt zu einer Zunahme von städtischen Anlieferungen.

Der so steigende Lieferverkehr belastet zunehmend die innerstädtischen Verkehrswege und trägt inzwischen mit rund 19 Prozent zur schädlichen Stickoxidemissionen in deutschen Städten bei.

Vier Szenarien Urbane Logistik 2030 – Was müssen wir tun?

Wo dies hinführen kann, formuliert die Studie entlang der oben genannten Dimensionen „Regulierung“ und „Kooperation“ in vier Szenarien:

 1. Geringe Regulierung/individuelle Lösungen: Wilder Westen

Bei kaum reguliertem Warenwirtschaftsverkehr werden Einzellösungen, die aufgrund fehlender Standardisierung nur wenig Kooperation erlauben, dominieren. Der innerstädtische Logistikverkehr nimmt weiter massiv zu. Trotz einer höheren Verfügbarkeit von Waren ist die Attraktivität des städtischen Raums stark eingeschränkt.

 2. Starke Regulierung/individuelle Lösungen: Regulierte Vielfalt

Mit regulatorischen Mitteln wie City-Maut, geregelten Einfahrtszeiten für Logistikverkehre oder einer aktiven Parkraumbewirtschaftung steuert und reduziert die Stadt das Verkehrsaufkommen. Starker Wettbewerb zwischen den Anbietern verhindert die Einführung von Kooperationen und Standards.

 3. Starke Regulierung/Kooperative Lösung: Stadtplattform

Alle städtischen Lieferkapazitäten laufen auf einer Plattform zusammen, die die Warenströme anbieterübergreifend bündelt und mithilfe dezentraler Lager die Belieferung auf der letzten Meile bündelt. Diese Plattform wird von der Stadt selbst, einem stadteigenen Betrieb, oder in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft betrieben.

 4. Geringe Regulierung/kooperative Lösung: Koexistenz der Großen

Es entstehen wenige große, konkurrierende private Plattformen, die die Urbane Logistik dominieren. Durch eine steigende Nutzerzahl und ein erhöhtes Liefervolumen können die Plattformen Logistikverkehre effizienter bündeln. Die Stadt vertraut dabei auf eine marktwirtschaftliche Selbstregulierung.

Abschließend fragt die Studie nach dem aktuellen Handlungsbedarf. Um das eindeutig unerwünschte Szenario 1 („Wilder Westen“) zu verhindern, müssen heute die Weichen gestellt werden. Je nach angestrebtem Szenario ergeben sich unterschiedliche Aufgaben sowohl für die öffentliche Hand als auch die Unternehmen.

Die ausführliche Beschreibung der vier Szenarien und die Handlungsempfehlungen lesen Sie in der Studie „Urbane Logistik 2030 in Deutschland. Gemeinsam gegen den Wilden Westen“ von Roland Berger.

About the Author

Frieder Schwitzgebel Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.