Bei DB Schenker wird viel entwickelt und getestet im Bereich der Digitalisierung, vorzugsweise im eigenen Enterprise Lab. Aus Ideen werden konkrete Pilotprojekte. Nun hat es wieder eine Digitaltechnik in den Arbeitstag von DB Schenker Mitarbeitern geschafft: Am Kontraktlogistikstandort Bremen arbeiten Mitarbeiter seit Mai 2019 mit Unterstützung durch die Google Glass. Am Standort Rodgau steht der Start eines ähnlichen Pilotprojekts zum Einsatz von AR-Brillen kurz bevor, am Kontraktlogistikstandort Hannover wird ein ebensolches Pilotprojekt vorbereitet. DB Schenker nennt es Smart Picking. Wie überzeugend ist die Pick-by-Vision Technologie für den Arbeitsablauf und die Mitarbeiter während des Pilotprojekts in Bremen?
Pick-by-Vision nennt man die Unterstützung von Kommissionierern in der Lagerlogistik durch visuelle Informationen. Eine Datenbrille projiziert die aktuell benötigten Informationen in das Sichtfeld. DB Schenker setzt an den Kontraktlogistikstandorten Bremen und Rodgau auf den Anbieter Picavi, am Kontraktlogistikstandort Hannover auf den Anbieter Ubimax. Beide Pick-by-Vision-Anbieter benutzen als Hardware Modelle von Google Glass.
Oberstes Ziel des Pilotprojekts war, dass die Lagerarbeiter nicht mehr auf ihren Handscanner angewiesen sind, der bisher beim Pick-Prozess zentrales Werkzeug ist. Er ist nicht nur zum Einscannen der entnommenen Ware da, sondern auch als Informationsmedium für den Mitarbeiter, denn das Display gibt genaue Auskunft über den aktuellen Pick-Auftrag. Doch Handhelds müssen eben – wie der Name schon sagt – in der Hand gehalten werden. Man ist zwar die Papierliste los, die Hände hat man aber noch lange nicht frei.
Was ist Smart Picking?
DB Schenker hat mit der Lösung von Picavi praktisch den Handscanner in zwei Wearables aufgeteilt, das Display in ein Brillengestell und den Scanner in einen Fingerring. Doch genau genommen bewegt sich der Träger noch nicht in der Augmented Reality. Denn die Kamera an der Google Glass AR-Brille ist bei DB Schenker ausgeschaltet. Die Brille erhält somit keine visuelle Information über ihre Umgebung oder den Anwender und kann dementsprechend auch nichts an die visuelle Umgebung angepasst einblenden. Sie wird einfach als miniaturisierter, am Kopf getragener Computer genutzt. Dafür bleibt ihr Einsatz auch vollkommen unbedenklich, was den Datenschutz angeht, da keine Kamera aufzeichnet.
Eine AR-Unterstützung ist auch gar nicht notwendig, um Hands-Free Picking umzusetzen. Nach erfolgtem Pick, der vom Ring-Scanner erfasst wird, wird automatisch der nächste Pick-Auftrag angezeigt. Um Informationen zum Pick-Auftrag lesen zu können, blickt der Anwender einfach leicht nach oben. Sein normales Sichtfeld nach vorne bleibt dabei vollkommen frei von Einblendungen. Interagieren kann der Anwender über Menüs, die sich über fünf große, robuste Knöpfe am Akku-Pack auch mit Handschuhen bedienen lassen. Dieses Power Control genannte Akku-Pack von Picavi wird am Gürtel getragen, wiegt 200 Gramm und versorgt die Brille eine gesamte Arbeitsschicht lang mit Strom. Die Brille inklusive ihrer CPU wiegt 42 Gramm, was ungefähr dem Gewicht einer regulären Brille entspricht. Die Brille nutzt die gleiche Schnittstelle zum Warehouse Management System wie der Handscanner. Die bereitgestellten Informationen lassen sich benutzerzentriert und für die Darstellung auf der AR-Brille optimieren.
Der Arbeitsablauf beschleunigt sich durch die entfallenden Prozessschritte wie ‚Scanner aufnehmen und ablegen‘, was auch deutlich die MTM-Analysen zeigen. Doch Detlef Protzmann gibt noch einen weiteren Effekt zu bedenken: „Viel wichtiger als die sowieso erwartbare Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit ist, dass unsere Mitarbeiter nun jederzeit auf benötigte Informationen zurückgreifen können, ohne sich selbst im Arbeitsablauf unterbrechen zu müssen. Dadurch entfällt ein potenziell nervender Faktor, der durch das Herumhantieren mit dem Scanner-Display gegeben war. Ein kurzer Blick nach oben genügt nun, um sich zu versichern, dass man zum Beispiel in den richtigen Regalgang unterwegs ist. Man wird dadurch nicht mehr herausgerissen aus seinem persönlichen Arbeitsfluss.“
Solche Phänomene kennt man auch vom Autofahren, da lenkt zum Beispiel das Hantieren an der Mittelkonsole ab und stört, weil es den Fahrer aus dem Flow des Autofahrens reißt. Das erzeugte Stressmoment ist deutlich höher als der kurze Handgriff vermuten lässt
Wie gehen die Mitarbeiter damit um?
Um mehr über die Erfahrungen der Mitarbeiter mit den Brillen zu bekommen, wurden und werden in Zusammenarbeit mit der Universität Koblenz-Landau Interviews der Mitarbeiter durchgeführt, und zwar vor und nach der Einführung der AR-Brille.
Ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor für die Akzeptanz der Digitalisierung am Arbeitsplatz ist die Schulung der Mitarbeiter durch einen Trainer, der auch bei praktischen Problemen hilft, die erst im Arbeitsalltag auftreten. Dies hat sich auch bei den AR-Brillen als erfolgreich erwiesen: „Es gab ein Training-on-the-job durch einen Trainer, der die Mitarbeiter im Arbeitsalltag begleitet hat, anstatt einer einmaligen Schulung im Nebenraum. Der Trainer konnte dann ganz konkret dabei helfen, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter aus Versehen in ein falsches Menü navigiert war und allein nicht mehr zurückfand. Nur so können Hemmungen gegenüber neuen Technologien nachhaltig abgebaut werden,“ meint Detlef Protzmann.
Und wie finden die Mitarbeiter den Einsatz von AR-Brillen? Detlef Protzmann: „Die meisten empfinden sie als echte Erleichterung ihrer Arbeit und es macht viele natürlich auch ein wenig stolz, mit neuester Technologie arbeiten zu können: Wenn der Sohn in der Schule erzählen kann, dass sein Papa mit einer Google Glass arbeitet, dann macht das schon echt Eindruck“, so Detlef Protzmann. “Hands-Free Picking war unser erklärtes Ziel, und das haben wir erreicht mit Smart Picking“.
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