Kiel-Canal, Schleuse Holtenau
Der Nord-Ostsee-Kanal zieht sich knapp 100 Kilometer quer durch Schleswig-Holstein. © stock.adobe.com / Peter Hansen

Nur gut, dass es seit über 125 Jahren den Kanal zwischen Nord- und Ostsee gibt! Sonst bliebe den Schiffen für den Wechsel vom einen zum anderen Meer nur die Route durch den Skagerrak zwischen Norwegen und Jütland. Sie müssten Dänemark umkurven, was 460 Kilometer weiter ist und acht Stunden länger dauert. Also lieber quer durch Deutschlands nördlichstes Bundesland Schleswig-Holstein! Am westlichen Ende zweigt der Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel von der Elbe ab, kurz bevor sich diese in die Nordsee verabschiedet. Bei Kiel geht es in die Ostsee.

Ein „Knirps“ mit Bedeutung

Im Vergleich zur weltweit längsten künstlichen Wasserstraße ist der Nord-Ostsee-Kanal ein Knirps. Was sind schon seine 98,64 Kilometer gegenüber den 2.000 Kilometern des Kaiserkanals in China? Dennoch sollte man die Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals nicht unterschätzen. Immerhin gilt er als meistfrequentierte künstliche Wasserstraße der Welt. Es ist noch nicht lange her, dass jährlich 30.000 Schiffe den Kanal nutzten. Vor anderthalb Jahrzehnten waren es sogar mal weit über 40.000. Aktuell ist es etwas ruhiger auf dem Wasser. Im ersten Pandemiejahr passierten ihn exakt 25.247 Schiffe. Auch die Transportmasse ging coronabedingt zurück. Mit 68 Millionen Tonnen Ladung wurden 2020 acht Millionen Tonnen weniger als 2019 transportiert.

Neben der Pandemie machte dem Kanal jüngst noch etwas anderes zu schaffen: Die Bunkerkosten, also die Treibstoffpreise, fielen im ersten Halbjahr 2020 um rund 70 Prozent. In der Folge wichen zahlreiche Schiffe auf die ungeliebte Skagenroute aus. Sie verbrauchten zwar mehr, aber eben billigen Diesel und sparten sich die Befahrungsabgabe für den Kanal. Die liegt üblicherweise je nach Schiffsgröße pro Passage zwischen 1.800 und 5.800 Euro. Die Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums, auf die Gebühren bis Ende 2021 zu verzichten, lockte die Schiffe wieder in den Kanal. Der wenig klimafreundliche Umweg lohnt nicht mehr.

Europas größte Wasserbaustelle

Ein Großteil der Schiffe auf dem Kanal sind Feeder. Damit bezeichnet man Zubringer, die die Überseeschiffe „füttern“ (daher der Name). Ein typisches Beispiel für Feeder-Verkehre: Ein Riesenpott, der den Atlantik überquert hat, wird in Hamburg entladen. Die Feeder verteilen die Waren via Nord-Ostsee-Kanal in Skandinavien und im Baltikum. Auf dem Rückweg bringen sie neue Container zum Seehafen. Diese verhältnismäßig kleinen Schiffe befördern in der Regel nicht mehr als 1.000 Standardcontainer (20 Fuß). Das entspricht 500 Stück der am häufigsten verwendeten 40-Fuß-Container. Die Giganten der Weltmeere nehmen die 20-fache Menge auf.

Damit der Kanal leistungsfähig bleibt, verwandeln ihn derzeit mehrere Projekte in die größte Wasserbaustelle Europas. Besonders aufwändig: die Errichtung einer neuen Schleuse für bis zu 330 Meter lange Schiffe in Brunsbüttel. Allein dafür investiert Deutschland mehr als eine Milliarde Euro. Während der Bauphase bleiben die bisher genutzten Schleusen aktiv. Am anderen Ende des Kanals läuft der Ausbau zwischen Königsförde und Kiel. Der 18 Kilometer lange Abschnitt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Nadelöhr entwickelt. Und das nicht etwa, weil Kanäle wie die Arterien eines Menschen altersbedingt enger werden. Nein, es verhält sich andersrum: Die Schiffe werden immer breiter! Deshalb sorgen die Bagger für eine Mindestbreite von 70 Metern.

Zusatzsteuer für die Finanzierung

Eröffnet wurde der Nord-Ostsee-Kanal übrigens 1895. Zu seiner langfristigen Finanzierung inklusive Kriegsflotte hat das damalige deutsche Staatsoberhaupt Kaiser Wilhelm II. die Schaumweinsteuer eingeführt. Die wenigsten Sektfreunde fanden das damals prickelnd. Heute bietet die Wasserstraße keinen Vorwand mehr, die Korken knallen zu lassen. Denn die immer noch erhobene Steuer – rund ein Euro pro 0,75-Liter-Flasche – ergießt sich ohne speziellen Verwendungszweck in die Haushaltskasse des Bundes.

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Andreas Pietsch Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.