Die Binnenschifffahrt ist extrem wichtig für Europas Industrie. Was aber, wenn die Pegel bei Niedrigwasser in den Flüssen sinken?

Wer am Ufer großer Ströme steht und versonnen den Motorschiffen, Schubbooten und Verbänden nachschaut, der bekommt einen Vorgeschmack auf die weite Welt, auf die großen Häfen und die See. Zu Recht, denn wie die Seefahrt ist auch die Binnenschifffahrt einer der wichtigsten Verkehrsträger von Industrie und Handel. Doch das diesjährige Niedrigwasser hat gezeigt, wie fragil dieses Ökosystem ist – und damit die Lieferketten über die Flüsse.  

Logistik ist, wenn alles reibungslos fließt und rechtzeitig dann zur Stelle ist, wenn es gewünscht und gebraucht wird. In der Theorie. Doch an manchen Stellen fließen die Waren langsamer als geplant oder die Lieferketten drohen ganz zu brechen. In einer losen Folge stellt Pulse Deutschland die größten Nadelöhre vor, die die Logistik beeinträchtigen. Diesmal geht es um den Rhein, eine der Lebensadern der europäischen  Wirtschaft.

Ganze Regionen bauen auf die Binnenschifffahrt

Zwar werden in Deutschland nur rund fünf Prozent der beförderten Güter per Binnenschiff transportiert, meist Roh- und Grundstoffe wie Kohle, Metallprodukte oder chemische Erzeugnisse. Doch diese Güter werden häufig in der Produktion als Vorleistungsgüter benötigt. Große Firmen haben sich entlang dieser Wasserstraße angesiedelt und sind wichtige Jobmotoren in den Niederlanden, im Rhein-Main-Gebiet, im Ruhrgebiet und in der Schweiz. Die Unternehmen sind deshalb so erfolgreich geworden, weil das Treiben auf dem großen Strom pulsiert. 

Doch im August 2022 sank der Pegel in Kaub, der wichtigen Wassermarke westlich von Frankfurt am Main und südlich von Koblenz, auf sehr niedrige Werte. 30 bis 40 Zentimeter tief war der Pegelstand. Für die Frachtschifffahrt ein echtes Problem. Bei einem Wasserstand von 45 cm kann ein Binnenschiff nur noch ein Viertel der üblichen Fracht aufnehmen. Sinkt der der Pegel Kaub unter die Marke von 30 bis 35 Zentimeter, kommt die Schifffahrt tendenziell zum Erliegen. 

Umplanung mit wenig Kapazitäten 

„Das Thema Niedrigwasser begleitet uns immer. Wir übermitteln daher die wichtigen Pegelstände an unsere Kollegen und Kolleginnen, damit die entsprechend planen können“, sagt Sebastian Trizna von DB Schenker. Der Senior Vice President Intermodal bei Schenker Deutschland ist seit vielen Jahren in der Logistik tätig und kennt die Tücken der Flüsse. „Wir wissen ja, dass im Herbst Niedrigwasser ansteht. Dann muss umgeswitcht werden“, sagt Trizna. Das Problem: „Zusätzliche Züge und Lkw stehen selten zur Verfügung. Die Möglichkeiten sind begrenzt, um die Fracht auf anderen Wegen zu transportieren.“

Auf Umleitungen können wir nur situativ reagieren, weil viele unterschiedliche Faktoren wie der Bedarf bei den Kunden, die Auslastung oder die Schiffsflotte die Planung beeinflussen. Da müssen wir immer adhoc reagieren.

Sebastian Trizna
Senior Vice President Intermodal bei Schenker Deutschland

Eigentlich soll die Binnenschifffahrt, die doch als klimafreundlich gilt, in den kommenden Jahren  als Verkehrsmittel ausgebaut werden, um im Verkehrsbereich für niedrigere Emissionen zu sorgen. Doch das Niedrigwasser schafft neue Probleme. Heiße Sommer sind ja längst keine Seltenheit, im Spätsommer und Herbst beginnt die klassische Niedrigwasserzeit am Rhein. Doch diese Perioden werden vermutlich länger und öfter stattfinden. Der Klimawandel macht das Wetter extremer – und längere Trockenperioden lassen die Wasserstände sinken. Nicht nur am Rhein übrigens, sondern alle Wasserstraßen weltweit leiden unter extremen Pegelständen. 

Hinzu kommt, dass der massive Personalmangel in der Logistikbranche die Binnenschifffahrt genauso beeinträchtigt wie die Bahn oder den Lkw, die im Notfall einspringen sollen.

„Vieles lässt sich nicht ein paar Monate vorher einstellen“, sagt Trizna. „Auf Umleitungen können wir nur situativ reagieren, weil viele unterschiedliche Faktoren wie der Bedarf bei den Kunden, die Auslastung oder die Schiffsflotte die Planung beeinflussen. Da müssen wir immer adhoc reagieren.“ 

Spezielle Schiffe für Niedrigwasser 

Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, Extremereignissen vorzubeugen. Die Kunden füllen all ihre Läger auf, oder sie weichen schon vorab auf andere Transportmittel aus. Die Bahn weiß beispielsweise, dass im Herbst mehr Züge benötigt werden, und plant entsprechend.

Auch der Ausbau der Infrastruktur an den Flüssen soll helfen, die Auswirkungen künftiger Niedrigwasserperioden abzumildern. Eine ganze Reihe solcher Projekte sind vorgesehen – von der Fahrrinnenverbesserung bis zu besseren Ladestellen, die das Ausweichen auf Güterzüge erleichtern.

Der Rumpf des Binnenschiffes "Stolt Ludwigshafen" in Rotterdam. © BASF SE/Mercurius
Der Rumpf des neu konzipierten Binnenschiffes „Stolt Ludwigshafen“ wurde in China gebaut und traf im November 2022 in Rotterdam ein. © BASF SE/Mercurius

Viele Unternehmen, die die Wasserwege angewiesen sind, haben in Schiffe mit geringerem Tiefgang investiert. BASF zum Beispiel hat das Gas-Tankschiff „Gas94“ entwickeln lassen, das mehr Fracht bei Niedrigwasser aufnehmen kann. Der Chemie-Tanker „Stolt Ludwigshafen“ kann durch sein besonderes Design sogar bei extremem Niedrigwasser eingesetzt werden. Das Schiff wurde in China gefertigt und ist im November 2022 in Rotterdam eingetroffen. Nun soll die „Stolt Ludwigshafen“ im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden.

Der Vorteil des Netzwerks

Und schließlich werden die Logistikdienstleister aktiv, wenn es darum geht, Transporte von einem Verkehrsträger auf viele andere neu zu verteilen. „Wir haben ja den Vorteil eines europäischen intermodalen Netzwerks bei DB Schenker. Dafür arbeiten wir mit den Geschäftsstellen in den Anrainerstaaten der Flüsse eng zusammen“, sagt Trizna. „So können wir mit einem Helikopterblick die Warenströme beobachten und aus unpaarigen Verkehre paarige machen.“ Statt leer aufzubrechen, nehmen Lkw von DB Schenker Fracht aus der Umgebung auf ihrem Rückweg mit. Diese Verkehrsbündelung hat sich in diesem Jahr dazu geführt, dass DB Schenker an intermodalem Volumen hinzu gewonnen hat. 

Gleichzeitig werden Trizna und viele Kollegen in solchen Zeiten wieder daran erinnert, warum sie sich für einen Job in der Logistik entschiedenen haben: „Wenn die Lage so richtig angespannt ist, dann muss man sehr kreativ werden“, sagt Trizna. „Und da macht Logistik sehr viel Spaß.“ 

About the Author

Axel Novak Axel Novak ist freier Journalist in Berlin. Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigt er sich mit der Logistik-Branche und den Veränderungen, denen sie unterworfen ist. Axel Novak schreibt für Zeitungen, für Zeitschriften und für Unternehmen. Seine Schwerpunkte sind allgemeine Wirtschaftsthemen mit dem Fokus auf Mobilität, IT, Energie und Finanzen.