Dass der Suezkanal in Ägypten eine der wichtigsten Verkehrsadern der Welt ist, hat man schon vor der Blockade im Frühjahr 2021 gewusst. Außerdem zählt er zu den historischen Meilensteinen der Ingenieurkunst. Für seine Errichtung bewegten die Bauarbeiter 75 Millionen Kubikmeter Sand. Diese Menge würde reichen, um die 18 Hektar große Binnenalster in Hamburg mit einem Sandhaufen zu bedecken, der so hoch ist wie das Empire State Building in New York.
Uralter Menschheitstraum
Am 17. November 1869 wurde der Suezkanal nach zehn Jahren Bauzeit mit einem bombastischen Spektakel eröffnet, 30.000 geladene Gäste nahmen dran teil. Es war ein Weltereignis: Erstmals hatte es die Menschheit vollbracht, eine schiffbare Verbindung zwischen zwei Meeren zu errichten. Ihre Länge beträgt 163 Kilometer. Rechnet man die nördlichen und südlichen Zufahrtskanäle hinzu, sind es noch 30 Kilometer mehr.
Die Idee, den Isthmus (Landenge) zwischen Mittelmeer und Rotem Meer für Schiffe passierbar zu machen, ist uralt. Belege für die Existenz des antiken Bubastis-Kanals reichen 4.000 Jahre zurück. Auch wenn er einen anderen Verlauf nahm, gilt er als Vorgänger des Suezkanals. Er verband nicht die Meere, sondern das Rote Meer mit dem Nil.
Als Erbauer des Kanals, wie wir ihn heute kennen, gilt der Franzose Ferdinand de Lesseps (1805 bis 1894). Er war allerdings kein Ingenieur, sondern französischer Diplomat in Ägypten. Seine Hauptleistung bestand darin, das Geld für dieses Projekt aufgetrieben zu haben.
Für alle Containerschiffe offen
Der Suezkanal muss – anders als zum Beispiel der Panamakanal – keine Höhendifferenzen ausgleichen. Deshalb kommt er ohne Schleusen aus. Das beschleunigt die Durchfahrt. Was aber ebenso bedeutsam ist: Es gibt praktisch keine Restriktionen für die Containerschifffahrt, weil die Wasserstraße einen Tiefgang von gut 20 Metern erlaubt. Selbst das größte Containerschiff der Welt, die HMM Algeciras mit Platz für knapp 24.000 TEU (20-Fuß-Standardcontainer), geht nur maximal 16,50 Meter auf Tauchstation.
Seit dem Ausbau 2015 ist der Kanal in beide Richtungen befahrbar. Für den Weg von Port Said am Mittelmeer nach Suez am Roten Meer benötigen die Schiffe einen halben Tag. Die Gebühren für die Passage liegen bei durchschnittlich 250.000 Euro. Dem ägyptischen Staat bringt das jährlich fünf Milliarden Euro ein. Damit ist der Kanal hinter Ölgeschäft und Tourismus die drittgrößte Einnahmequelle der Arabischen Republik. Für die Reeder ist die Durchfahrtgebühr gut investiertes Geld. Die Abkürzung durch die ägyptische Wüste erspart ihnen den rund einwöchigen Weg um das Kap der Guten Hoffnung, also um Südafrika. Der Suezkanal verkürzt die Route von Europa nach Indien oder Singapur um mindestens 6.000 Kilometer.
Durchschnittlich 50 Durchfahrten pro Tag
Fast jeder Dritte im Welthandel bewegte Container durchquert den Suezkanal. Gut ein Zehntel des Handels mit Erdöl und Erdgas nimmt den gleichen Weg. Während der mehrtägigen Blockade Ende März 2021 durch die querstehende Ever Given haben sich auf beiden Seiten der Kanalzufahrt rund 400 Schiffe gestaut und auf die Weiterfahrt gewartet. Andere nahmen den Weg um das Kap der Guten Hoffnung.
Täglich passieren rund 50 Schiffe den Kanal. Es kommt aber auch vor, dass die Zahl deutlich überschritten wird. Am 6. Februar 2019 fuhren 40 Schiffe mit 2,7 Millionen Tonnen Ladung von Süden nach Norden und 35 Schiffe mit 3,1 Millionen Tonnen in die andere Richtung vom Mittelmeer zum Roten Meer.
Wenige Wochen nach der Havarie der Ever Given kündigte die Suez Canal Authority an, den südlichen Teil des Kanals – genauer: die 30 Kilometer zwischen Suez und den Bitterseen – zu verbreitern und zu vertiefen. In spätesten zwei Jahren soll die Erweiterung fertig sein.
Nur eine Legende
Irgendwann in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Der junge Prinz von Kairo war behäbig und übergewichtig. Deshalb hatte sein Vater, der Pascha, ihn auf strenge Diät gesetzt. Er nötigte den armen Kerl zum intensiven Seilspringen und hetzte ihn täglich im Laufschritt um die Stadtmauern. Der französische Konsul und spätere Kanalbauer Ferdinand de Lesseps hatte Mitleid mit dem Jungen und versorgte ihn regelmäßig mit „Makkaroni à la Francaise“ – was auch immer das sei. Als später aus dem kleinen Prinzen der mächtige Pascha wurde, konnte dieser seinem französischen Wohltäter von einst keinen Wunsch abschlagen und gewährte ihm den Bau des Kanals. Ob das so stimmt, klären wir später mal.
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Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.