Christa Stienen ist seit dem 1. Oktober 2018 als Chief Human Resources Officer bei DB Schenker für das Cluster Deutschland/Schweiz verantwortlich. Sie verfügt über 25 Jahre internationaler Führungserfahrung in HR und in verschiedensten Branchen wie z.B. in Handel, Aviation und Pharma.
Christa Stienen ist seit vielen Jahren ehrenamtlich als Vizepräsidentin des Bundesverbandes der Personalmanager (BPM) aktiv und als Aufsichtsrätin tätig.
logistik aktuell sprach mit ihr über die aktuellen Herausforderungen der Branche sowie den persönlichen, unternehmerischen und gesellschaftlichen Auftrag, den verantwortungsvolles HR-Management mit sich bringt.
logistik aktuell: HR in der Logistik. Da liegt es nah, mit den Herausforderungen des Fachkräftemangels einerseits und der sich im Zuge der Digitalisierung ändernden Anforderungsprofile andererseits zu beginnen. Wie sehr erleben Sie Ihre Aufgabe und die Branche im Wandel?
Christa Stienen: Menschen fit zu machen für die Digitalisierung und damit für den Wandel, ist aktuell eine unserer wichtigsten Aufgaben. Das gilt für meine HR-Tätigkeit bei DB Schenker, das gilt für die Branchen und ich sehe darin auch eine der drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen. Wir müssen sehr viel dafür tun, dass die Menschen und unsere Kolleginnen und Kollegen hier den Anschluss halten.
Und das ist auch möglich. Denn die allermeisten Menschen leben ganz selbstverständlich in der digitalisierten Welt. Sie bedienen souverän Smartphones und erledigen ihre Einkäufe online. Und genau so sind sie in der Lage, qualifizierte Tätigkeiten in der immer stärker digitalisierten Logistik auszuüben. Wir müssen uns nur so früh wie möglich um ihre digitale Bildung bemühen und sie mitnehmen bei den Veränderungen im Alltag, die Digitalisierung fordert.
Das ist eine ganz konkrete HR-Aufgabe. Es geht um Weiterbildung. Aber es geht auch darum, uns als attraktiven Arbeitgeber und Ausbildungspartner sichtbar zu machen. Ganz allgemein in der Öffentlichkeit, aber auch gezielt in der Generation der Kinder und Familien unserer Mitarbeiter. Denen möchte ich signalisieren, dass sie eine gute Zukunft in unserem Unternehmen haben. Dass wir sie fit für die Zukunft machen, und interessante Arbeitsplätze auch für die Zukunft zu bieten haben.
Dennoch sind Sie weiterhin auch auf klassisches Recruiting außerhalb von DB Schenker angewiesen.
Ja, aber wir brauchen mehr als nur „klassisches“ Recruiting. In Zeiten des Fachkräftemangels ist Phantasie gefragt. Ein etwas ausgefallenes Beispiel: Wir suchen Fahrer. Alle suchen Fahrer. Wie erreichen wir sie? Mit Print-Anzeigen, Online-Jobbörsen? Wohl eher nicht. Vielmehr müssen wir dort präsent sein, wo sich potentielle Bewerber ohnehin aufhalten. In ihrem Umfeld und „bei Gelegenheit“: in Tattoo-Studios zum Beispiel. Also haben wir dafür eigens eine Kampagne entworfen und „ausgerollt“. Das lässt sich natürlich übertragen. Den IT-Spezialisten werden wir in seinem spezifischen Wohlfühlumfeld ansprechen müssen. Aber wo ist das? Auch für HR und Recruiting gilt: Wir müssen an die Zielgruppe ran, affin und glaubwürdig. Denn es kommt darauf an, dass die Menschen spüren, dass wir uns über ihre Situation und ihre Art zu leben Gedanken machen. Dass das ehrlich ist!
Diversity. Über den lebendigen Umgang mit Komplexität
Kommen wir noch einmal darauf zurück, wie die Digitalisierung die Anforderungen an Arbeitnehmer und Bewerber verändert. Welche Kompetenzen werden in den nächsten 10 Jahren wichtiger werden? Oder etwas spezieller: Welche Ausbildungen und Studiengänge bereiten besonders gut auf die zukünftige Arbeit in der Logistik vor?
Bis auf wenige Ausnahmen wird es keine entscheidende Rolle spielen, welches Studium oder welche Ausbildung jemand absolviert hat. Was heute und zukünftig noch stärker zählt sind persönliche Skills. Flexibilität ist eine entscheidende Anforderung. Ebenso die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und mit diesen umzugehen. Auch Teamfähigkeit ist ein absolutes Must-have.
Das klingt nach Selbstverständlichkeiten. Da steckt aber vieles dahinter. Denn erstens sind Bewerber mit diesen Kompetenzen keineswegs im Übermaß am Arbeitsmarkt vorhanden. Und zweitens stellt es eine neue und selbst wiederum komplexe Aufgabe für HR dar, diese Eigenschaften zu bewerten. Ein Beispiel: Abschlussnoten zu scannen, ist eine vergleichsweise triviale Aufgabe. Abzuschätzen, wie gut jemand in ein Team passt oder in der Lage ist, Zusammenhänge zu erfassen, verlangt andere Methoden und setzt eine andere Expertise in den HR-Teams voraus.
Und wie bereitet sich HR auf diese Anforderung vor?
Mir persönlich kommen hierbei meine Erfahrungen aus dem Coaching und meine langjährige Berufserfahrung sehr zu Hilfe.
Generell sehe ich aber vor allem eine Chance, diese Herausforderung zu meistern. Das Stichwort ist Diversity. In Bezug auf HR heißt das: Wir müssen Menschen mit ganz verschiedenen Lebenshintergründen in diese Entscheidungsprozesse einbinden. Komplexe Entscheidungen werden am besten von Teams getroffen, die die heterogenen Erfahrungen unterschiedlicher Lebensalter, sozialer, kultureller und geographischer Herkunft in sich vereinen. Denn hier bilden sie mit ihren „Fühlern“ Welten, Prozesse und Persönlichkeiten ab. Und diese feine Sensorik geht nur im Team.
Diversity verstehen Sie also nicht primär als Herausforderung sondern als Chance?
Diversity ist die Antwort auf Komplexität. Sämtliche Aufgabenstellungen im Bereich HR sind durch zunehmende Komplexität geprägt. Nehmen wir als Beispiel die divergierenden Bedürfnisse der verschiedenen Mitarbeitergenerationen: Das fängt bei den Auszubildenden an, die sich Zugehörigkeit wünschen. Dann sind da die Young Professionals, die wissen möchten, was das Unternehmen ihnen bietet. Später werden dann Fragen der Familienfreundlichkeit dominant. Und das reicht bis zur Generation 50 plus, bei denen plötzlich der Wunsch nach Entfaltung jenseits des Berufs zum Thema wird. Ein adäquater Umgang mit diesem ganzen Bedürfnisspektrum ist nicht möglich, wenn ich auf den Horizont eines männlichen Mittfünfzigers oder eine weiblichen Dreißigjährigen beschränkt bin. Diversität öffnet Perspektiven.
HR als Business-Partner
Steckt in diesem Verständnis von Diversity nicht auch eine Chance für das ganze Unternehmen?
Selbstverständlich, ja. Und genauso verstehe ich die besondere Verantwortung und die Potentiale des modernen Personalmanagements. HR kann und muss mit seinen besonderen Erfahrungen zum Business-Partner des Top-Managements werden bzw. sein und seinen Beitrag zur Wertschöpfung leisten. Das ist mein Verständnis von Personalmanagement und so lebe ich meinen Beruf. Ich bin sehr froh, dass dieses Verständnis bei DB Schenker geteilt und kollegial unterstützt wird. Wir haben große Aufgaben vor uns, aber mit dieser Haltung werden wir sie, da bin ich mir sicher, meistern können.
Wir wünschen Ihnen bei diesen Aufgaben weiterhin viel Erfolg und danken für diesen aktuellen und lebendigen Einblick in HR in Zeiten von Digitalisierung und Komplexität.
About the Author
Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.