Rekordtunnel II: Der Gotthard Basistunnel ist der längste Tunnel der Welt
Heidi und Sissi in den Alpen. Das passt. Doch diesmal geht es weder um die Junge Kaiserin noch ums bergverliebte Waisenkind. Denn diese Heidi und Sissi haben Biss. Mit ohrenbetäubendem Lärm fressen sie sich wie Riesenschlangen durch härtestes Gestein. Heidi, Sissi sowie Gabi 1 und 2 sind die Kosenamen der vier Tunnelbohrmaschinen, die den längsten Tunnel der Welt, den Gotthard Basistunnel, geschaffen haben.
Mit diesen vier Bohrern der Firma Herrenknecht – das Unternehmen aus Baden-Württemberg ist Weltmarktführer für Tunnelvortriebstechnik – wurde während der Bauarbeiten für die zwei je 57 Kilometer langen Tunnelröhren rund 30 Millionen Tonnen Gestein aus unterschiedlichen Gebirgsmassiven gebohrt und abtransportiert. Diese gigantische Menge an Schotter entspricht in etwa dem fünffachen Gewicht der großen Cheops-Pyramide in Gizeh.
Die riesigen Gesteinsmengen haben die Schweizer Bauherren übrigens teilweise als Baumaterial verkauft oder gleich wieder selbst als Betonzusatzstoff für den Tunnelbau verwendet. So macht man richtig Schotter.
Jede Menge Rekorde
57 Kilometer Länge. Damit ist der Gotthard-Basistunnel der längste Eisenbahntunnel der Welt. Platz zwei der Tunnelolympiade belegt der Seikan-Tunnel in Japan mit 53,9 Kilometern. Der dritte Platz geht an den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal, der 50,5 Kilometer lang ist. Doch die Rekorde sind in Gefahr. Wenn der Brenner-Basistunnel vom Portal Tulfes bis zum Portal Franzensfeste ausgebaut sein wird, wird er mit 64 Kilometer der neue König aller Tunnel.
Rekord ist auch die „Tiefe“. Über den beiden Tunnelröhren türmen sich die Gebirgsschichten noch einmal bis zu 2400 Meter hoch. Damit hat der Gotthard-Basistunnel die weltweit höchste sogenannte Gesteins-Überdeckung.
Der Tunnel hat dabei nur geringfügige Steigungen und keine engen Kurven. Das erlaubt hohe Geschwindigkeiten der durchfahrenden Züge. Bis zu 260 Güterzügen täglich passieren den Tunnel mit Geschwindigkeiten von 80 bis 160 Kilometern pro Stunde. Die bis zu 65 Personenzüge erreichen sogar Geschwindigkeiten von 250 Km/h.
Rekordverdächtig sind auch die wirtschaftlichen und planerischen Eckdaten. Die ersten Ideen stammen vom Ingenieur Carl Eduard Gruner. Bereits 1947 brachte er einen Basistunnel unter dem Gotthard Massiv ins Gespräch. Nach vielen Planungen und Studien stimmten die Schweizer 1992 in einer Volksabstimmung für die Umsetzung des Megaprojekts. 17 Jahre waren nötig, um das Bauwerk fertigzustellen. Für das ehrgeizige Vorhaben wirkten nach offiziellen Angaben bis zu 2.400 Arbeiter im 3-Schichtsystem rund um die Uhr. Das Ganze kostete rund 12 Milliarden Euro! Der Gotthard-Basistunnel ist damit das teuerste Bauwerk in der Geschichte der Schweiz.
Grund zum Feiern
2016 war es soweit. Der Gotthard-Basistunnel konnte eröffnet werden. Und die Schweizer ließen sich diese einzigartige Gelegenheit zum Feiern nicht entgehen. Am 1. Juni 2016 gab es einen offiziellen Festakt und am 4. bzw. 5. Juni sogar ein richtiges Volksfest zur Einweihung. Zahlreiche europäische Politiker, darunter Angela Merkel, der damalige französische Staatspräsident François Hollande und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi waren zu Gast.
Die umfangreichen Eröffnungszeremonien mit Theateraufführungen und einer Flugshow der Patrouille Suisse, der Kunstflugstaffel der Schweizer Luftwaffe, kosteten immerhin noch einmal über 8 Millionen Franken.
Das ausgiebige Feiern ist ein schönes Symbol für die Bedeutung des Gotthard-Basistunnels und der zahlreichen anderen Straßen-, Eisenbahn. und Schifftunnel. Überall auf der Welt erleichtern Tunnel den Transport von Waren und Menschen. Wie kaum ein anderes Bauwerk stehen Tunnel für die Fähigkeit des Menschen, natürliche Hindernisse zu überwinden und Wege für den Handel und Begegnung zu ebenen.
About the Author
Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.