Deutschland hat das Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ geprägt. Japan antwortet darauf mit seiner angestrebten ‚Society 5.0‘. Haben wir einen Entwicklungsschritt verpasst? Was erwartet sich Japan von seiner digitalen Vernetzung der Gesellschaft?
Auch wenn sich „Society 5.0“ etwas verstiegen anhört, sollte man sich mit Japans Visionen einer digital vernetzten Gesellschaft ernsthaft auseinandersetzen. Einerseits weil Japan bereits 2020 Austragungsort der Olympischen Spiele sein wird und dieses Großereignis sicher zum Anlass nimmt, sich als Digital-Nation der Welt zu empfehlen. Andererseits weil die Japaner mit ihrem Zukunftsentwurf sich direkt mit dem deutschen ‚Industrie 4.0‘-Konzept auseinandersetzen, nur eben gleich auf die ganze Gesellschaft bezogen. Hierbei zählt Japan folgendermaßen: 1. Jäger- und Sammlergesellschaft, 2. Agrargesellschaft, 3. Industriegesellschaft, 4. Informationsgesellschaft, 5. Society 5.0.
Sowohl die Regierung wie auch der nationale Wirtschaftsverband Keidanren haben zur Society 5.0 Rahmenkonzepte veröffentlicht. Es geht um die Entwicklung von einer technologiezentrierten hin zu einer menschenzentrierten Gesellschaft und ihrem dementsprechenden Technikverständnis. Nachhaltigkeit, Inklusion und Offenheit sollen die drei Grundwerte sein, auf denen Society 5.0 basiert.
Japans digitale Strategie
Spezifisch nationale Probleme Japans sind die schnell und stark zunehmende Überalterung der Gesellschaft und die damit einhergehende Entvölkerung ländlicher Regionen. Hier verspricht sich Japan Lösungen durch die Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Altenpflege. Autonom verkehrende öffentliche Busse sollen eine Anbindung der ländlichen Regionen gewähren. Auch konkrete maschinelle Unterstützung im Alltag durch Exoskelette genauso wie durch Sozialroboter erproben japanische Alte, was das Thema gesellschaftliche Inklusionsmöglichkeiten durch Technik insgesamt voranbringt.
Außerdem kämpft Japan mit einer immer kritischeren Wasser- und Energieknappheit. Hier kann die Digitalisierung tatsächlich verhältnismäßig einfach Abhilfe schaffen durch smartes Verbrauchsmanagement.
Zugutehalten muss man der japanischen Gesellschaft, dass sie mit der sogenannten Meiji-Restauration im 19. Jahrhundert (Übergang von Shogunat zu moderner Nation) in einem weltweit einzigartigen Prozess bereits gezeigt hat, dass sie dazu fähig ist, sich aus eigener Kraft vollständig umzugestalten. Gleichzeitig akzeptieren Japaner Maschinen und KI sehr viel leichter als Alltagsbegleiter als das im Westen der Fall ist. Ein wichtiger Grund hierfür mag die japanische Glaubensform des Shintoismus sein. Im Shinto wird dem gesamten Sein eine Beseeltheit zugestanden, auch nicht belebter Natur wie Bergen und sogar Kulturgegenständen wie Werkzeugen, Fahrzeugen – oder eben Robotern.
Vergleich mit Europa
Auch bei uns setzt sich in der breiten Bevölkerung die Erkenntnis durch, dass die Vernetzung der Produktionsprozesse nicht an den Fabriktoren halt machen wird und künstliche Intelligenz nicht nur ein neues Werkzeug der Business Intelligence ist. Die Digitalisierung wird alle Bereiche der Gesellschaft betreffen, nicht nur unsere Arbeit. Diese Ganzheitlichkeit wird in Japan bereits klar kommuniziert. Probleme wie Überalterung oder die Entvölkerung ländlicher Regionen betreffen Deutschland ebenfalls, wenn auch nicht so ausgeprägt.
Dass technologische Entwicklungen und deren Risikoeinschätzung – ähnlich wie beim Thema Atomkraftnutzung – in Japan und Europa grundsätzlich anders bewertet werden, kann mit Mentalitätsunterschieden und einer anderen geistigen Tradition erklärt werden. Genau diese unterschiedlichen Einschätzungen machen aber den Blick auf die jeweils andere Auseinandersetzung mit Zukunftstechnologien spannend. Ob man die Auswirkungen der Digitalisierung auf verschiedene Lebensbereiche wie Arbeit, Schule, Alter, Mobilität oder Konsumverhalten zu einem Gesamtthema bündelt wie in Japan oder als parallele Debatten wie bei uns betreibt, das hängt nicht zuletzt auch mit der jeweiligen Diskussionskultur zusammen.
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