Kriege, Krisen, Katastrophen beeinträchtigen die Seefracht, das Rückgrat der Weltwirtschaft. Wie geht ein großer Logistikdienstleister mit den vielen Ungewissheiten um, die heute die Branche weltweit prägen? Alexander Naumann, Executive Vice President Ocean Freight DE/CH bei DB Schenker, erklärt im Interview, wie die Branche tickt.
Pulse: Herr Naumann, wie beschreiben Sie die aktuelle Situation in der Seefahrt?
Alexander Naumann: Wir kommen aus einer Situation, in der die Kapazitäten die Raten diktiert haben. Derzeit aber sind Inflation, Krieg und Verunsicherung prägend. Daher ist die Nachfrage teilweise rückläufig speziell im Konsumgüterbereich und der Import aus Asien ist somit von viel Unsicherheit geprägt. Hinzu kommen die Auswirkungen der Covid19-Pandemie, die Lockdowns in Schanghai und extreme Schiffsverzögerungen durch eine verstopfte Infrastruktur in vielen Häfen.
Das alles steht für eine herausfordernde Volatilität des Marktes. Die Geschwindigkeit, mit der wir uns als Logistikdienstleister anpassen müssen, nimmt zu.
Wie gehen Sie damit um?
Für uns bedeutet das, dass wir kommerziell agiler werden müssen und unser Vertrieb immer wieder mit neuen Ideen und Lösungsansätzen auf unsere Kunden zugeht. Was uns hilft, ist die Digitalisierung. Unser Credo lautet: Daten Daten Daten. Wir brauchen eine gute Datenqualität und bestmögliche Transparenz, damit der Kunde weiß, wie seine Supply Chains heute und künftig aussieht.
Kann denn DB Schenker diese hohe Datenqualität liefern? Schließlich hängt die ja auch von der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren ab.
Wir sind auf einem guten Weg. In einige Bereichen wie der Steuerung unserer Volumina sind wir aufgrund unserer Forecasts- / Allocationtools richtig gut und einer der verlässlichsten Spediteure. Wir können einen tagesaktuellen Überblick über die Buchung liefern, das können nicht viele. Hinzu kommt, dass wir mit Reedern und Kunden sehr partnerschaftlich agieren, das hilft gerade in der aktuellen Situation.
Wieso hilft das gerade jetzt?
Als in der Pandemie der Platz auf den Schiffen knapp war, mussten sich die Kunden vielen Auflagen der Reeder beugen. Mit den aktuellen Preisreduktionen erwarten die Reeder dagegen Loyalität der Kunden, d.h. die Einhaltung geschlossener Vereinbarungen. Die aber suchen eigene Optimierungsmöglichkeiten, um Kostensteigerungen in anderen Bereichen aufzufangen, aber auch die Transportkosten zu senken. Die Erwartungshaltung ist insofern schwierig: Einerseits erhoffen sich die Kunden sinkende Raten, andererseits steuern die Reeder gegen, indem die Schiffe nicht fahren oder bestimmte Häfen auslassen, um die Raten zu sichern. Dieses „Blank Sailing“ macht fast 30% der Kapazitäten aus.
Das bedeutet für uns, dass wir mit einigen Verladern intensivere kommerzielle Gespräche führen. Uns hilft dabei die verlässliche Partnerschaft mit Verladern und Reedern und eine zuverlässige Planung – so können wir absichern, dass unsere Fracht im Rahmen unserer Vereinbarungen stets zuverlässig an Bord kommt.
Was stimmt Sie denn angesichts dieser vielen Ungewissheiten positiv?
Als DB Schenker sind wir ein Großspediteur, der mit einem sehr motivierten Team beste Qualität liefert. Wir haben immer wieder individuelle Lösungen gefunden und konnten bei den Volumina wachsen (Cluster DE/CH), auch als im ersten Quartal Wettbewerber sinkende oder stagnierende Volumina verzeichneten.
Außerdem haben wir als Teil der DB einen guten Zugriff auf die Infrastruktur, zum Beispiel auf die Züge von/nach China. Und weil wir meist paarige Ströme im Im- und Export haben, sind wir bei den Reedern & Transportunternehmern gern gesehen. Das alles ist natürlich sehr erfreulich.
Unterscheiden sich die Entwicklungen im Export und im Import?
Im Import sind die Rahmenbedingungen und Zukunftsprognosen nicht einfach – das Fahrwasser wird sicher schwieriger. Im Export dagegen erleben wir eine gestiegene Nachfrage, weil der Euro-Dollar-Kurs für Exporte günstig ist und die USA ein gigantisches Konjunkturpaket aufgelegt haben. In dieser insgesamt gemischten Gemengelage haben wir als global agierender Spediteur aber Vorteile, denn wir profitieren von den Höhen und Tiefen in den globalen Supply Chains und können dies besser ausgleichen als nicht global agierende Transportunternehmen.
Sie sprechen den Daten eine große Rolle zu: Wie hat denn die Digitalisierung Ihre Arbeit verändert?
Wir sind in den vergangenen zwei Jahren deutlich besser geworden, was die Forecasts und die Datenqualität für die Steuerung betrifft – und zwar zum Kunden hin und zum Reeder. Das ist auch dringend notwendig.
Gleichzeitig sind wir dabei, unser E-Commerce-Auftritt aufzubauen, weil wir in diesem Bereich zum Digital Forwarder werden wollen. Dabei schrecken uns die Wettbewerber nicht ab, denn wir haben das Netzwerk und die Möglichkeit, das Thema voranzutreiben. Gleichzeitig genießt die Optimierung unseres Transportmanagementsystems höchste Priorität, um eine Entlastung der Arbeitsbelastung unserer Mitarbeiter zu erreichen. Unsere Mitarbeiter befinden sich aufgrund der infrastrukturellen Herausforderungen quasi im Dauerstresstest seit mehr als 20 Monaten.
Wie geht denn DB Schenker mit der Nachhaltigkeit in der Seefracht um. Man hat den Eindruck, dass das Thema etwas in den Hintergrund gerückt ist …
Nein, keinesfalls, wir haben in der See- wie in der Luftfracht unverändert den Anspruch, der nachhaltigste Logistikdienstleister zu werden. Und da sind wir auch sehr aktiv: Gerade erst haben wir mit dem Schifffahrts- und Logistikunternehmen CMA CGM eine Kooperation begonnen, um uns unser gesamtes LCL-Volumen auf Netto-Kohlenstoff-Null-Emission umzustellen. Dafür haben wir 2.500 Tonnen Biokraftstoff zu gekauft.
In anderen Bereichen sind wir schon richtig weit: Wir holen LCL-Fracht möglichst CO2-neutral in die Häfen, dafür verfügen wir über den größten E-Fahrzeugmarkt im europäischen Landverkehr. Das Thema Nachhaltigkeit ist also für uns wichtig. Zum einen, weil wir dahinterstehen. Aber nicht zu guter Letzt auch, weil wir attraktiv für Nachwuchs bleiben wollen.
Gibt es bei Ihnen in der Seefracht einen Fachkräftemangel?
Es gibt einen riesigen Bedarf an Nachwuchskräften. Long term ist das die wichtigste Herausforderung, die wir stemmen müssen. Heute geht es darum, die richtige Anzahl an motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu haben, diese an uns zu binden und die nötige Identifikation zu schaffen. Dafür gehen wir stark auf die Bedürfnisse der Beschäftigten ein, dazu gehört auch ganz klar das flexible Arbeiten. Aber das wichtigste ist auch, die richtige Balance zu finden zwischen den beruflichen Anforderungen und dem Privatleben. Es kommt nicht nur darauf an, effizient zu arbeiten, sondern auch Spaß zu haben.
Sie sprachen über die Identifikation mit DB Schenker. Nun feiert das Unternehmen in diesem Jahr sein 150-jähriges Jubiläum. Spielt diese Tradition für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Rolle ?
Das ist ein absolut wichtiges Thema, denn DB Schenker steht für Qualität – und das führt zu einer hohen Identifikation mit dem Unternehmen. Die Arbeitsbedingungen sind entscheidend, aber auch die Führungskräfte, weil sie sich um die Beschäftigten kümmern. Da erlebe ich eine hohe Loyalität zu DB Schenker. Die Leute sind stolz, bei DB Schenker zu arbeiten, einem so traditionsreichen Unternehmen.
Danke, Herr Naumann, für das Gespräch.
About the Author
Axel Novak ist freier Journalist in Berlin. Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigt er sich mit der Logistik-Branche und den Veränderungen, denen sie unterworfen ist. Axel Novak schreibt für Zeitungen, für Zeitschriften und für Unternehmen. Seine Schwerpunkte sind allgemeine Wirtschaftsthemen mit dem Fokus auf Mobilität, IT, Energie und Finanzen.