Die Digitalisierung birgt ungeahnte Veränderungen – zum Beispiel beim Fließband in der Autofabrik. Der Automobilhersteller Audi will nach und nach seine Produktionsverfahren umstellen – weg vom Band, hin zu flexiblen Montageinseln. „Wir nutzen die Kraft von Elektronik und Big Data und analysieren komplexe Zusammenhänge in Echtzeit. Wir führen zerlegte Prozesse digital zusammen und denken über das heutige Fließband hinaus“, sagt Prof. Dr.-Ing. Hubert Waltl, Produktions- und Logistikvorstand der Audi AG. „Wir wollen eine digitale Automarke werden. Führend in der digitalen Transformation. Mit rundum vernetzten Produkten aus einer rundum vernetzten Produktion, in der sich Werkzeuge und Maschinen intelligent selbst steuern.“
Konkret sieht das so aus: In einem „Modulare Montage“ genannten Verfahren gibt es im Werk künftig statt eines Fließbands 200 Montageinseln. An diesen kleinen, separaten Arbeitsstationen sind hochflexible Arbeitsabläufe möglich, durch die die Mitarbeiter ein Fahrzeug mit sämtlichen Individualisierungswünschen der Kunden direkt und ohne Zeitverzug für das restliche Band zusammensetzen. Die Karosserie und alle für die Produktion benötigten Teile werden von Robotern auf fahrerlose Transportsysteme (FTS) gepackt, die sich ihren Weg zu den verschiedenen Inseln selbständig suchen. Ein zentraler Rechner erkennt den Bedarf jeder einzelnen Station, steuert die FTS und sorgt so für einen reibungslosen Arbeitsfluss.
Gute Gründe für die Revolution
Damit revolutioniert Audi die automobile Fertigung aus zwei Gründen: Zum einen beherrschen streng standardisierte Verfahren die Autoproduktion, damit das Auto bezahlbar bleibt. Das Fließband machte in der standardisierten Welt der Vergangenheit Sinn. Heute jedoch wollen die Kunden nicht nur günstige Fahrzeuge – das Auto soll auch so einzigartig sein wie ein Maßanzug. Die Individualisierung verlangt nach völlig neuen Fertigungsverfahren. Allein die Digitalisierung macht es möglich, dass der Autokonzern Individualisierung und Standards gleichzeitig berücksichtigen kann.
Zum zweiten sind die Montageinseln im Fertigungsprozess robuster. Während eine neue Montagestation eingerichtet wird, kann die Fertigung an den anderen Stationen fortgeführt werden. Das beschleunigt auch die Auslieferung: Fahrzeuge, die schneller fertig sind, können an den anderen Montageinseln vorbei sofort ausgeliefert werden. Die Audi-Ingenieure gehen davon aus, dass die modulare Montage mindestens 20 Prozent mehr Produktivität bringt als das Fließband von heute. Sie soll zunächst im ungarischen Motorenwerk in Györ getestet werden.
Einfluss auf die Logistik
Eine solche Umstellung hat natürlich Einfluss auf die logistischen Prozesse. Nicht nur im Werk, sondern auch in der Zu- und Auslieferung. Auch hier sind digitale Verfahren notwendig, damit die Gesamtfertigung effizienter wird. Daher testet Audi bei der Anlieferung von Teilen neue automatisierte Transportsysteme, die sich mit Laserscannern selbstständig orientieren. Im Güterverkehrszentrum am Audi-Stammwerk in Ingolstadt zum Beispiel werden autonome Stapler und fahrerlose Flurförderzeuge für den Serienbetrieb noch in diesem Jahr getestet.
Im Werk wiederum setzt Audi neben den FTS auf Transportdrohnen, die im Notfall dringend benötigte Teile in kürzester Zeit auf dem Luftweg ans Fertigungsband bringen könnte. Solche Einsätze hat Audi im vergangenen Jahr in Ingolstadt geprobt.
Um alle Kettenglieder der Supply Chain 4.0 digital zusammenzuführen, hat Audi in Neckarsulm ein interdisziplinäres Projektteam ins Leben gerufen. Es soll Daten aus allen logistikrelevanten Bereichen vernetzen und analysieren – von Lieferanten über den Straßenverkehr bis zur gesamten Wertschöpfungskette der Produktion. In einer ersten Anwendung geht es darum, dass fertige Fahrzeuge genau dann abgeholt werden, wenn sie fertig sind, statt viele Tage auf Parkplätzen auf die Abholung zu warten.
Auch hier plant Audi schon die Zukunft und will künftig das voraussichtliche Fertigstellungsdatum des Autos mit Versandinformationen verknüpfen. So kann der Transporter sich schon auf den Weg machen, um das Auto abzuholen, bevor es von seiner Montageinsel heruntergerollt ist.
Die Audi-Logistik-App
Die App „Audi Logistik Challenge“ macht das logistische Geschäft auch für Laien erlebbar: Audi hat das Spiel für Smartphones und Tablets selbst entwickelt. Gespielt wird wie in der echten Produktion: Jeder Audi kann individuell konfiguriert und muss anschließend per Fingerzeig gefertigt, montiert, zwischengelagert und im richtigen Farbton lackiert werden. Die „Audi Logistik Challenge“ steht noch in diesem Jahr im App Store (iOS) und im Play Store (Android) zum Download bereit.
About the Author
Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.