In der Online-Ausgabe von Gablers Wirtschaftslexikon lesen wir unter dem Schlagwort „Lager“, dass es sich dabei um „Knoten in logistischen Systemen“ handelt, wo „Güter vorübergehend gelagert“ werden. Und weiter: „Lager übernehmen die Funktion von Liefer- und Empfangspunkten“. Was uns das Nachschlagewerk an dieser Stelle verschweigt: Die Definition bezieht sich nicht allein auf menschliches Treiben. Auch Tiere haben es mit der Lagerlogistik.
„Liefer- und Empfangspunkt“ an einem Bienenstock: Im Reich der Honigmacher ist es nicht etwa so, dass eine Biene den von ihr aus der Umgebung angeschleppten Nektar selbst einlagert. Das ist ja auch in der menschlichen Logistik eher die Ausnahme: Die einen machen Sammelverkehre, die anderen nehmen die Waren in Empfang. Was die Bienen bei ihren Rundflügen zusammenklauben, das verstauen sie in ihrem natürlichen Laderaum, den der Biologe Honigmagen nennt. An ihrem Logistikzentrum – pardon: am Bienenstock – angekommen, würgen sie den Nektar wieder hoch und übergeben ihn zur ordnungsgemäßen Warenannahme an eine andere Arbeitsbiene. Diese sorgt dafür, dass eine nächste Biene das wertvolle Gut zur Einlagerung übernimmt. Im echten Lager würde sie mit einem Schubmaststapler durch die Gänge fahren. Dagegen erledigen die Bienen den Einlagerungstransport zu Fuß, eigentlich krabbelnd.
Exakte Maße – für Waben und Paletten
Was bei den Menschen das Hochregallager mit Platz für mehrere tausend Paletten oder Kleinladungsträger ist, das ist bei den Insekten die Beute. Das sind „Kisten“, in denen zehn oder ein paar mehr Rahmen stecken. Jeder von ihnen ist gefüllt mit 5.000 bis 8.000 sechseckigen Zellen. In Summe bringt es eine Beute locker auf 50.000, wenn nicht 100.000 Stellplätze für Honig. Bei den Maßen sind die Tiere übrigens genauso pingelig wie die Vorgaben der European Pallet Association (EPAL). Die einzelnen Zellen haben einen Durchmesser von konstant 5,4 Millimeter, Europaletten messen immer gleiche 120 mal 80 Zentimeter.
Aus den Augen, aus dem Sinn
Blicken wir zu den Säugetieren. Von dem, was die bienenfleißigen Insekten mit höchster Akkuratesse betreiben, sollten sich die Eichhörnchen eine Scheibe abschneiden. In Sachen Wiederfinden von Eingelagertem erweisen sie sich als Stümper und verbuddeln Eicheln, Hasel- und Walnüsse an allen möglichen und unmöglichen Stellen: eine eher chaotische Lagerhaltung. Was sie im Herbst unter der Erde einlagern, finden sie oft nicht wieder. Doch bunkern sie mehr Nahrung als nötig. Das heißt, am Ende kommen sie und wir gut durch den Winter. Da sind sie uns Menschen und unserer Vorratshaltung ähnlich.
Sammeln und – suchen!
Trotzdem unterscheidet sich das Eichhörnchen-Logistikverfahren fundamental von dem, was unsereins als sinnvoll betrachtet. Die Humanlogistik setzt auf ein anschauliches Prinzip, das jeder zu Hause mit seinem Kühlschrank üben kann: „First In – First Out“. Das Eurasische Eichhörnchen Sciurus vulgaris dagegen praktiziert permanent First In – Never Out. Erst mal alles horten und dann …erst einmal suchen. Klingt nach Vergeudung von wertvollen Ressourcen. Doch wenn kurz nach Ostern im Garten neben Narzissen ganz unverhofft die Sprösslinge von Eichen und Walnussbäume sich zeigen, dann haben die Eichhörnchen doch auch gute Arbeit geleistet.
About the Author
Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.