Der Sammelverkehr machte es erforderlich: Irgendwo musste Gottfried Schenker die Güter seiner Kunden bis zur Verladung in Eisenbahnwaggons aufbewahren. Das konnte ein paar Tage dauern und deshalb gehören Transport und Lager bei Schenker seit jeher zusammen. Schon kurz nach der Gründung 1872 unterhielt Schenker & Co. in Wien fünf Lager. Die größte „Wartehalle für Kisten“ befand sich am Westbahnhof.
In den 1920er-Jahren verfügte fast jede Schenker-Niederlassung über eigene Lagerhäuser. Die kleineren Einheiten nannte man Magazine oder wenig schmeichelhaft, aber durchaus treffend Schuppen. Besonders große Lager gab es seinerzeit in Wien, Budapest, Berlin und im Brandenburgischen Oderberg, das drei Bahnhöfe besaß und Unmengen Holz auf die Reise schickte. Zu dieser Zeit stellte Schenker seinen Kunden in ganz Europa etwa 400.000 Quadratmeter Lagerfläche zur Verfügung. Hinzu kamen offene Bereiche für Holz, Erze und andere Massengüter, die kein Dach über dem Kopf benötigten. Rund hundert Jahre später – 2023 – hat sich die DB Schenker-Lagerfläche verzwanzigfacht. Heute sind es acht Millionen Quadratmeter, weltweit verteilt auf 725 Standorte.
Der Spediteur wird Logistiker
Doch springen wir noch einmal ein halbes Jahrhundert zurück. Der Fremdwörterduden von 1966 kennt zwar das Wort Supply und übersetzt es mit Vorrat/Bestand. Dagegen blättert man vergeblich nach Supply Chain Management als Bezeichnung für die Organisation ganzer Versorgungsketten. Aber die Idee oder sagen wir Vorstufe von SCM kam in den 70er-Jahren: Die Waren lagen nicht nur für ein paar Tage beim Spediteur, während sie auf ihre Abfertigung warteten. Vielmehr delegierte der Hersteller seine Lageraktivitäten an einen externen Dienstleister, der sich vom Transportorganisator in Richtung Logistiker entwickelte.
EDV beschleunigt die Prozesse
Die Kunden betrieben Outsourcing, Schenker erweiterte das Angebot. Immer häufiger wurde die Vergabe von Transportaufträgen daran geknüpft, ob die Dienstleister bereit waren, auf eigene Rechnung ein Lager für den Hersteller zu errichten und es in Eigenregie zu betreiben.
Dass solche Investitionen für die Spediteure mit einem erheblichen Risiko verbunden waren, drückt der Schenker-Geschäftsbericht für 1980 mit einem tiefen Seufzer aus: „Zunehmend Sorge bereitet die (…) Tendenz bestimmter Kunden, einerseits vom Spediteur Lagerhaus-Neubauten als Voraussetzung für entsprechende Geschäftsbeziehungen zu verlangen, andererseits jedoch nur kurzfristige Beschäftigungsverträge anzubieten.“ Der gleiche Geschäftsbericht zeigt aber auch eine großartige Perspektive: „Mit der Einführung eines EDV-gesteuerten Lagersystems soll 1981 die Rentabilität (…) verbessert werden.“ Und so kam es! Heute steuern Warehouse Management Systeme (WMS) alles, was im Lager geschieht. Zum Beispiel die Kommissionierung – also die Entnahme von Waren aus dem Regal und ihr Zusammenführen auf Paletten oder in anderen Transporthilfsmitteln.
Trend zur Automatisierung und Robotik
Anfangs bewegten sich Menschen von Regal zu Regal, um die Artikel zu „picken“, wie der Fachmann sagt. Gabelstapler und andere Kommissionierfahrzeuge unterstützten sie dabei. Seit zwei Jahrzehnten setzt sich mehr und mehr die Automatisierung im Lager durch: Fördertechnik auf Schienen bringt die Ware zum Menschen, was viele Fußwege erspart. Die nächsten Schritte führen in Richtung selbstfahrende Shuttles und Robotik. Dabei geht es in den Lagern heute nicht allein darum, Waren zu bewegen. Längst konzentriert sich die Kontraktlogistik von DB Schenker auch darauf, Produkte im Lager in irgendeiner Weise zu „behandeln“. Zu den sogenannten Value Added Services zählen zum Beispiel das Bestücken von Verkaufsdisplays mit verschiedenen Waren eines Kunden. An einigen Standorten führen DB Schenker-Mitarbeitende im Auftrag der Hersteller Funktionsprüfungen an Produkten durch. Auch der Austausch von Baugruppen und Montageleistungen gehört zum Angebot der Kontraktlogistik. Manche Lager sind für einzelne Kunden reserviert – sogenannte „dezidierte Lager“ – andere Einrichtungen werden von mehreren Auftraggebern genutzt. Man nennt sie dann Multi-User-Lager oder Shared Logistics Center.
Transport- und Versorgungswesen kontinuierlich optimieren
Gottfried Schenker hätte sich bei der Firmengründung wohl kaum vorstellen können, in welchem Maße sich Lager und Schuppen zu hochmodernen Logistikzentren entwickeln würden. Aber man darf sicher sein: Es hätte dem Mann gefallen, der ein Leben lang nach Wegen suchte, das Transport- und Versorgungswesen zu optimieren.
About the Author
Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.