Es sieht immer noch ein wenig nach Science Fiction aus. Männer und Frauen im Lager oder beim Warenumschlag tragen roboterähnliche Stützstrukturen, die sie beim Heben und Tragen entlasten sollen. Bei DB Schenker ist das an ausgewählten Standorten längst Realität. Denn seit 2019 werden dort motorisiere Exoskelette und solche, die mit körpereigenen Energie arbeiten eingesetzt und immer wieder unter realen Arbeitsbedingungen getestet. Die Anwendungsgebiete sind vielfältig: Beim Handling von Paketen im Umschlagterminal Stockholm, zum Sequenzieren und Verpacken in der Kontraktlogistik an den Standorten Bremen bzw. Leipzig, beim Entladen von Seefracht-Containern in Nürnberg ebenso wie beim Umpacken in der Cargo City Süd am Flughafen Frankfurt.
Diese Testeinsätze zeigten in den aller meisten Fällen eine gute oder gar sehr gute Akzeptanz der Exoskelette bei den Mitarbeiter:innen. Nun wollte DB Schenker diese in Befragungen festgehaltene, subjektiv empfundene Arbeitserleichterung wissenschaftlich gesichert messen und quantifizieren. Dazu wurden im Juli 2021 am DB Schenker Standort Augsburg unter Verwendung der Sensortechnologie der Firma MotionMinors in Kombination mit Exoskeletten typische Bewegungsabläufe im Lager getestet. Zum Einsatz kamen Exoskelette des Typs Paexo Back des bekannten Herstellers Ottobock Bionic Exoskeletons. Um Vergleichswerte zu erhalten, wurden die Arbeitsabläufe sowohl mit als auch ohne Paexo Back erfasst und ausgewertet. Die Vorbereitung und Durchführung der Versuchsreihen wurde von Experten von Ottobock und den MotionMiners intensiv begleitet.
Exoskelette – der Baustein zur ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen der Logistik
Der demografische Wandel macht es für Unternehmen notwendig, sich intensiver Gedanken über die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze zu machen. Sowohl als Teil des Gesundheitsmanagements, um die körperliche Belastung ihrer Mitarbeitenden zu reduzieren. Als auch um in Zeiten des Fachkräftemangels ein attraktives Arbeitsumfeld bieten zu können.
Daran arbeitet mit diversen innovativen technologischen und organisatorischen Ansätzen auch DB Schenker. Gerald Müller, Vice President Industrial Engineering beim Logistiker: „Neben der Automatisierung von Arbeitsprozessen, flexiblen mechanischen Werkzeugen und organisatorische Maßnahmen wie Job-Rotation spielen Exoskelette eine zunehmend wichtige Rolle. Letztere insbesondere in Bereichen, in denen die Automatisierung oder Jobrotation aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen schwer umsetzbar sind. Vor diesem Hintergrund wurden und werden Exoskelette im Logistikalltag von DB Schenker eingesetzt und getestet.“
43.000 Belastungsabläufe ausgewertet
Für die Tests in zwei DB Schenker Hallen im GVZ Augsburg wurden zwei typische, körperlich unterschiedlich belastende Arbeitsverläufe ausgewählt und mit der Leitmerkmalmethode in Bezug auf Ergonomie bewertet. Zum einen im Bereich Set-Bildung von Komponenten. Hier werden pro Schicht und Mitarbeiter:in 9 km Wegstrecke zurückgelegt und 3 Tonnen Ware bewegt. Dabei finden ohne Assistenzsysteme 777 Bewegungsabläufe in kritischer Haltung statt. Getestet wurde zum anderen beim Entladen von Containern und anschließender Palettierung der Waren. Pro Schicht werden hier 5 km gelaufen, 11 t gehoben und rund 1.300 Bewegungen in kritischer Haltung absolviert.
Ziel war die Analyse der physischen Belastungen. Dazu wurden mittels sensorischer Erfassung der Arbeitsbewegungen Vergleichsmessung mit und ohne Exoskelett durchgeführt. Zum Einsatz kam die Messtechnologien der MotionMiners. Das Unternehmen, ursprünglich ein Spin Off des Fraunhofer IML, ist spezialisiert auf die automatisierte Messung und Analyse von Prozessabläufen mit und ohne Flurfördertechnik. Die Messausrüstung besteht aus Sensoren und mobilen Endgeräten, die mit Gürteln und Schweißbändern bequem und alltagstauglich getragen werden können bzw. an dem technischen Equipment angebracht wird. Die Datenerfassung findet vollständig anonymisiert statt. Insgesamt wurden über drei Wochen mit sechs Messausrüstungen 42 Schichten aufgezeichnet. In der Summe ergibt das eine Datenbasis von 43.000 Belastungsabläufen
Verbesserte Haltung und erhöhte Handhabungszeiten mit dem Paexo Back
Die mittels Motion Mining erhobenen Daten zeigen eine objektive Entlastung in zwei relevanten Messgrößen.
Erstens wird die Gesamtlast der Mitarbeiter:innen reduziert. So ging diese beim Entladen an den Containern um ca. 23 t pro Woche und Mitarbeiter:in zurück. Das ist immerhin die typische Last eines Lkw. Bei der Set-Bildung der Komponenten betrug die Lastreduzierung pro Woche und Mitarbeiter:in 3,2 t. Zweitens steigt die Handhabungszeit durch den Einsatz des Paexo Back um 19% bei der Containerentladung und Palettierung und 4 % beim Zusammenstellen der Sets. Dieser Zugewinn an Produktivität geht auf die geringere Ermüdung der Mitarbeiter:innen im Schichtverlauf dank der Entlastung durch das Exoskelett zurück. Neben der nachgewiesenen Entlastung führt der Einsatz des Paexo Back nachweislich zu einer verbesserten Körperhaltung bei der Lastenhandhabung
„Die Kombination aus Gesundhaltung und Produktivitätssteigerung wird in dieser Studie klar herausgearbeitet und am realen Arbeitsplätzen belegt. Die Ergebnisse bestätigen die vielen positiven Rückmeldungen, die wir seit Jahren aus Warenlagern und Logistikzentren von Arbeiter:innen erhalten“, sagt Dr. Sönke Rössing, der den Bereich der Exoskelette bei Ottobock leitet.
Auch die gute Akzeptanz durch die Nutzer wurde wieder bestätigt. So gab es für den Paexo Back gutes bis sehr gutes Feedback in allen geprüften Kategorien Komfort, Usability, Entlastung und Weiterempfehlung. Ein Testteilnehmer brachte das sehr anschaulich auf den Punkt: „Fühlt sich an wie ein Rucksack, man stellt ihn ein und gewöhnt sich direkt dran.“
Die Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Frank Stehn, Betriebsratsvorsitzender, Schenker Deutschland AG, Geschäftsstelle Nürnberg: „Wir haben nun belastbare Daten, die den positiven Einfluss von Exoskeletten bei den ausgewählten Bewegungsabläufen bestätigen. Meine Vision ist, dass Exoskelette für bestimmte Anwendungen zum selbstverständlichen Teil der persönlichen Schutzausrüstung werden, so wie Warnwesten und Sicherheitsschuhe.“
Gerald Müller und David Duwe von Ottobock präsentieren die Ergebnisse der DB Schenker am 27.10. im Rahmen der A+A Konferenz im Fraunhofer IPA Programm.
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Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.