Wer denkt, dass ein Hafen nur was für Schiffe und bestenfalls für Logistiker ist, kennt Antwerpen nicht. Um seine Meinung zu ändern, unternimmt man am besten eine Fahrradtour über das Gelände – geführt oder mit Karte in der Hand. Je nach Puste und Zeit kann man dabei bis zu 60 Kilometer zurücklegen. Aber es gibt auch Abkürzungen!
Ja, der Hafen ist riesig! In Europas Ranking liegt Antwerpen zwar nur auf Platz zwei hinter Rotterdam und vor Hamburg. Trotzdem hält der Port of Antwerp in Belgien einen Rekord: Seine vor fünf Jahren eröffnete Kieldrecht-Schleuse am linken Ufer der Schelde gilt als die größte Schleuse der Welt. Mit den darin verbauten 22.000 Tonnen Stahl hätte man drei Eiffeltürme errichten können. Aber stattdessen haben Stadt und Hafen ein 500 Meter langes und 68 Meter breites Stück Infrastruktur geschaffen, das selbst den größten Containerschiffen in die Hafenbecken hinein- und wieder hinaushilft.
In Summe über 70.000 See- und Binnenschiffe
Der 80 Kilometer im Landesinneren liegende Seehafen ist ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor für Belgien mit 64.000 Arbeitsplätzen. Hinzu kommen 80.000 Jobs, die indirekt vom Hafengeschehen abhängig sind. Was dort alles los ist, dokumentiert das statistische Jahrbuch. 2020 machten 13.655 Seeschiffe aus aller Herren Länder fest. Am häufigsten vertreten war die liberische Flagge (1.529), gefolgt von den Farben der Niederlande (1.429) und dem maltesischen Weiß-Rot (1.136). Da es sich um einen Tiefseehafen handelt, legen auch die ganz großen Pötte an. So erreichten im vergangenen Jahr knapp 300 Schiffe mit 13 und mehr Metern Tiefgang Antwerpen. Den Rekord hält die MSC Regulus, die am 28. Februar 2021 mit 15,70 Metern Tiefgang einlief. Zum Vergleich: In Hamburg ist bei 12,50 Metern Schluss.
2020 haben mehr als 7,3 Millionen Container den Hafen passiert – die eine Hälfte stach in See, die andere wurde entladen und für den Weitertransport bereitgestellt. Das übernehmen zum Beispiel Binnenschiffe, von denen reichlich viele im Hafen verkehren. Allein 2020 zählten die Statistiker 56.583 einlaufende Binnenschiffe – im Durchschnitt 155 pro Tag. 95 Prozent davon kamen aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland. Aus der Schweiz und Frankreich machten sich immerhin noch insgesamt 1.600 Schiffe auf den Weg nach Flandern. Während Binnenschiffe 44 Prozent der Hinterlandverkehre schultern – den Transport der Güter zum und vom Hafen –, liegt der Lkw-Anteil bei 34 Prozent. Den Rest erledigen Bahn und Pipelines (7 bzw. 15 Prozent).
Sensoren überwachen Zugkräfte an Pollern
Der Hafen verfügt über rund 120 Kilometer Kaimauern und 7.000 Anlegestellen mit Pollern, an denen die Schiffe ihre Taue befestigen. Einige dieser Poller sind richtig gescheit. Und das aus gutem Grund: Wenn bei starkem Wind die Seile mit enormer Kraft an ihnen reißen besteht die Gefahr, dass sich so ein 650 Kilogramm schwerer Stahl-Stempel löst, das Schiff wegdriftet oder Menschen verletzt werden. Daher sind regelmäßige Inspektionen und Wartungen erforderlich. Um eine Gefährdung frühzeitig zu erkennen, hat der Hafen intelligente Poller und den „Pollermonitor“ eingeführt: Zwei Sensoren messen die Spannungsschwankungen und senden die Daten viertelstündlich an die Betriebsabteilung.
Fusion von Antwerpen und Brügge
Anfang 2021 gaben Antwerpen und Brügge bekannt, dass sie ihre Seehäfen zusammenführen. Der Vereinigungsprozess wird ein Jahr dauern. Nach der Fusion sollen beide Häfen unter dem Namen Port of Antwerp-Bruges weiterbestehen und ihre Organisationsstruktur und Arbeitsweise einander anpassen.
In Sachen Klimaschutz tut sich auch was. Die Antwerp Port Authority stellt einen Schlepper auf Methanol-Antrieb um. Der „Methatug“ soll Anfang 2022 einsatzbereit sein. Er gehört zu einem von der Europäischen Union finanzierten Projekt, das nachweisen will, dass sich Methanol als nachhaltiger Schiffskraftstoff eignet. Auch ein mit Wasserstoff fahrender „Hydrotug“ wird bald seine Runden durchs Wasser ziehen.
Apropos Wasser. Eben dieses läuft jedem Antwerpen-Besucher im Munde zusammen, der an die kulinarischen Köstlichkeiten des Landes denkt. Wer also nach Antwerpen kommt, sollte bei aller Begeisterung für Schifffahrt und Logistik nicht vergessen, dass es belgische Pommes, belgische Pralinen und – hm! – belgisches Bier gibt!
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Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.