Die Angebotskalkulation für Kontraktlogistikdienstleistungen oder die Verbesserung der Abläufe und Strategien bestehender Lager sind Aufgaben, die ein hohes Maß an logistischer Erfahrung und Expertise verlangen.
Ja, und zugleich gilt Folgendes: In komplexen Systemen wie einem Kommissionierlager bleibt eine Abschätzung der Optimierungsmöglichkeiten allein auf der Basis von Erfahrung zumeist hinter den echten Potentialen zurück. Zu vielschichtig sind die Einflüsse durch die Veränderung der zahlreichen Parameter der Lager- und Materialflussgestaltung. Auch die Wechselwirkungseffekte zwischen diesen Parametern sind oftmals schwer abzuschätzen. In dieser Situation bieten Computer gestützte mathematische Verfahren und Simulationswerkzeuge effiziente und zuverlässige Entscheidungshilfen.
SyD – DB Schenker Lab an der TU Darmstadt entwickelt Simulationswerkzeug
Ein solches Simulationswerkzeug zur Planung von Kontraktlogistik-Anwendungen und insbesondere Kommissionierstrategien wurde, unter dem Titel SyD – Systematic service development in contract logistics, am DB Schenker Lab entwickelt. Das Lab ist eine Kooperation zwischen DB Schenker und dem Fachgebiet Unternehmensführung und Logistik der TU Darmstadt. Das SyD-Projekt begann bereits 2017. Die aktuell 4. Projektphase endete im Dezember 2020. Derzeit läuft die Übertragung der Entwicklungsergebnisse in praktische Anwendungen von DB Schenker.
Zentrales Ziel von SyD ist ein algorithmusbasierter Standardprozess zur Lager- und Kommissionierplanung. Als Planungsumgebung soll SyD sehr hohe Flexibilität bei den Planungsinhalten bieten. Das heißt zum einen, dass dank eines modularen Modellaufbaus unterschiedlichste Lager schnell und ohne aufwändige Programmierung für Planungs- und Optimierungszwecke modelliert werden können.
Zum anderen soll die mathematische Bewertung der Lager- und Kommissionier-Strategien sich für den Einsatz bei unterschiedlichen Datenlagen eignen von Grobdaten bei der Angebotserstellung bis hin zu detaillierten historischen Daten in Optimierungsprojekten.
Einfache Modellierung, schnelle Optimierung
Zentrales Element von SyD ist ein Simulationsmodell, das über intuitiv zu verstehende Eingabemasken die Simulation mit den notwendigen Daten versorgt. Damit können auch Nutzer ohne Simulationserfahrung das Tool unmittelbar nutzen.
Ein Anwendungsfall soll die Möglichkeiten der Simulation knapp illustrieren: In einem existierenden Lager wurde ein Bereich von 1.900 m² für ausgewählt, in dem über 21.000 Materialien für rund 300 Ersatzteillieferungen pro Tag kommissioniert werden. Es gibt dort sowohl Fachböden als auch Palettenregale. Die für die Simulation notwendig Informationen zu Artikeln, Aufträgen, eingesetztem Equipment, Layout und Kommissionier-Strategie werden über individuell gestaltete Eingabemasken abgefragt. Dazu wurden aus dem ERP-System gewonnenen Lagerdaten zunächst analysiert. Das Layout des Lagers wurde bequem über den sog. Plant Builder übernommen.
Die Ergebnisse der Simulation wurden anschließend mit den realen Daten des Lagers verglichen und erfolgreich auf ihre Plausibilität überprüft. Auf dieser Basis wurden verschiedene Auslastungsszenarien simuliert. So zum Beispiel der Betrieb an Spitzentagen, die mit über 550 Aufträge rund 90 Prozent über der durchschnittlichen Auslastung liegen. Im Zuge der Simulationen gelang es durch die einer heuristischen Routenführung die Anzahl der bearbeiteten Aufträge pro Mitarbeiter zu erhöhen und die Gesamtarbeitszeiten relevant zu reduzieren. Im Fall einer durchschnittlichen Auftragslage war eine Wegzeitreduzierung um 9 Prozentpunkte und hierdurch eine Produktivitätssteigerung um fast 17 Prozent möglich, während für Spitzentage immerhin eine Wegzeitreduzierung um 7,5 Prozentpunkte und hierdurch eine Erhöhung der Produktivität um 10 Prozent realisiert werden konnte. Diese Ergebnisse ermöglichten es, die Bearbeitung auch an Spitzentagen in einem Zweischichtbetrieb zu planen. Eine Option, die mit einer rein erfahrungsbasierten Konzeption nicht erwartet worden war.
Auf dem Weg zum flächendeckenden Einsatz
Xiaoke Jiang, Senior Projektmanager Solution Design/Simulation bei DB Schenker: „Unser Simulationstool SyD hat inzwischen einen Reifegrad erreicht, der einen flächendeckenden Einsatz in unseren Logistikzentren möglich macht. Und zwar bei einem Zeitaufwand, der deutlich geringer ist als bei herkömmlichen Simulationsvorgehen. Statt bis zu drei Monate brauchen wir für durchschnittliche Aufgabenstellungen nur noch vier Tage, bis wir ein einsatzfähiges Modell zu Verfügung stellen können.“ Um nach zahlreichen erfolgreichen Piloteinsätzen mit SyD nun tatsächlich in die Breite der DB Schenker Kontraktlogistik-Organisation vorzustoßen, wird derzeit eine Web-Applikation des Simulationswerkzeugs entwickelt.
About the Author
Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.