Im Schwarm zum Ziel. Dezentrale Steuerung und kombinatorische Optimierung steigern logistische Effizienz. © Joshua Lopez /stock.adobe
Im Schwarm zum Ziel. Dezentrale Steuerung und kombinatorische Optimierung steigern logistische Effizienz. © Joshua Lopez /stock.adobe

Ameisen sind gute Logistiker. Doch die Betonung liegt auf dem Plural „Ameisen“. Denn ihre erstaunlichen Leistungen bei der Orientierung und der Wegeoptimierung vollbringen diese Tiere immer im Kollektiv. Schwarmintelligenz nennt man das. Übersetzt in Computer-Algorithmen ist die Schwarmintelligenz ein leistungsstarkes Verfahren zur Optimierung von logistischen Prozessen.

Schwarmintelligenz: Mit einfachen Regeln zum gemeinsamen Erfolg

Ein beeindruckendes Beispiel ist die Futtersuche. Auch in unübersichtlichen Umgebungen finden Ameisen sehr schnell den kürzesten Weg vom Nest zur nächsten Futterquelle. Auch dann, wenn dies nicht der direkte Weg ist, weil Hindernisse den Zugang blockieren.

Wie geht das? Auf Futtersuche hinterlassen die Tiere eine wahrnehmbare Pheromonspur. Die übrigen Ameisen bevorzugen Wege mit höherer Pheromonkonzentration. Ameisen, die einen kürzeren Weg gefunden haben, kommen auf demselben Weg auch wieder schneller zum Nest zurück. Dabei geben sie erneut Duftstoffe ab. Auf diesen besonders kurzen Wegen steigt also die Pheromonkonzentration schneller. Das „riechen“ die anderen und die bekannten Ameisenstraßen entstehen.

Tourenplanung mit dem Ameisenalgorithmus

Das natürliche, pheromonbasierte Vorgehen der Ameisen lässt sich am Computer simulieren. Dieser sogenannte Ameisenalgorithmus, angewendet auf Probleme der Routen- und Tourenoptimierung, war dann auch einer der ersten technischen Anwendungen der Schwarmintelligenz.

Ausgangspunkt ist das sogenannte Problem des Handlungsreisenden. Es lässt sich mühelos auf logistische Tourenplanung übertragen. Ein Handlungsreisender plant Termine in einer Reihe von Städten. Jede Stadt will er nur einmal besuchen und am Ende wieder am Startpunkt ankommen. Das Ganze auf dem kürzesten Weg. Klingt trivial. Für kleine Szenarien in der Größenordnung von 5 Städten ist es noch einfach, eine Lösung zu errechnen. Doch mit jeder weiteren Stadt verdoppelt sich die Rechenzeit. Für eine Tour durch 16 Städte gibt es bereits 653.837.184.000 verschiedene Varianten. Hochleistungsrechner schaffen das gerade noch, aber am PC würden wir lange warten.

Hier kommt der Ameisenalgorithmus zum Tragen: In Computersimulationen werden zufällig ausgewählte Routen virtuell bewertet: Je kürzer, desto höher die Punktzahl. Die digitalen Ameisen, die nun folgen, wählen verstärkt die Route mit dem besten Ranking. So liefert der Algorithmus schnell zwar nicht die absolut kürzeste, aber eine sehr gute Route.

Vielversprechende Ansätze zur Anwendung der Prinzipien der Schwarmintelligenz werden aktuell auch im Bereich Citylogistik erprobt.

Schwärmt aus! Flexibel im Lager

Die Prinzipien der Schwarmintelligenz lassen sich auf weitere Anwendungsfelder der Logistik ausdehnen. Ausgangpunkt ist folgende Einsicht: Kein Individuum verfügt über ein Gesamtbild seiner Umgebung. Es reagiert nur auf lokale Reize einschließlich der Signale der Nachbartiere. Diese direkte Kommunikation ist der Anstoß des selbstorganisierenden Prozesses, der das kollektive Verhalten des gesamten Schwarms koordiniert.

An die Stelle hierarchischer Steuerung treten also dezentrale Regelungsprinzipien. Wie kann so etwas beispielsweise beim Transport innerhalb eines Lagers aussehen? Intralogistik-Lösungen bestehen heutzutage meist noch aus stationären Fördertechnik-Anlagen. Sie fördern Waren u.a. in die Kommissionier-Zonen. Der festgelegte Transportweg ist dabei meist nicht der direkte. Flexibel anpassen lassen sich solche Förderstrecken ebenfalls nicht. Im Sinne der Schwarmintelligenz werden die starren Fördersysteme durch Flotten fahrerloser Transportfahrzeuge ersetzt. Anlagen, Fahrzeuge sowie der Bediener werden sich dazu über WLAN- und Bluetooth-Schnittstellen austauschen. Die Entscheidung, welche Transporteinheit eine anstehende Aufgabe übernimmt, wird direkt und dezentral unter den beteiligten Komponenten ausgehandelt. So kann im Normalfall das am nächsten gelegene Transportsystem den Job übernehmen.

In zahlreichen Forschungsprojekten werden solche kollektiven Transportlösungen für die Intralogistik immer weiter entwickelt und für die Praxis tauglich gemacht. Eines der bekanntesten Beispiele sind die Forschungen zu Zellularen Transportsystemen am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML.

Aufbauend auf den Erfolgen dieser Forschungsaktivitäten befinden sich inzwischen zahlreiche dezentral gesteuerte Verbünde von Förderfahrzeugen auch im praktischen Einsatz – zum Beispiel in der Automobilindustrie. Schwarmintelligenz wird uns in der Logistik immer häufiger begegnen.

About the Author

Frieder Schwitzgebel Dr. Frieder Schwitzgebel studierte Philosophie und Physik an den Universitäten Mainz und Dijon und arbeitet seit 1996 als Unternehmensjournalist. Er ist Dozent für Wirtschaftsphilosophie an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Wiesbaden. Seine Schwerpunkte sind Neue Technologien, Kontraktlogistik und die Plattformökonomie.