Die EU hat mit ihrer Richtlinie 2015/719 den Weg frei gemacht: Lkws dürfen in Zukunft mit Heckklappen ausgestattet werden, die ihren Luftwiderstand und dadurch auch den Kraftstoffverbrauch verringern. Die Fahrerkabine kann jetzt ebenfalls aerodynamisch optimiert werden – was nicht nur Diesel spart, sondern auch neue Interieur-Konzepte ermöglicht. Für Logistiker bieten sich damit neue Chancen, nicht nur ihre Landverkehre nachhaltiger zu gestalteten, sondern auch das Berufsbild des Kraftfahrers aufzuwerten. Oliver Predelli, Fachbereichsleiter Entwicklungssteuerung Nutzfahrzeuge beim Berliner Engineering-Spezialisten IAV, über die neuen Spielräume beim Lkw.

Herr Predelli, warum müssen Lkws stromlinienförmiger werden?

Weil sie – aerodynamisch betrachtet – die reinste Katastrophe sind: ein großer Klotz, den die Luft umströmen muss und an dessen Rückseite ein Unterdruck entgegengesetzt zur Fahrtrichtung zieht. Das führt zu einem unnötig hohen Kraftstoffverbrauch. Das muss sich ändern.

Was kann man gegen den unnötig hohen Luftwiderstand tun?

Seit Ende 2015 sind Klappen mit einer maximalen Länge von 0,5 Metern an Lkws erlaubt, um den Unterdruck am Heck zu verringern. Sie schieben den Windschatten etwas nach hinten und erhöhen so den Druck an der Rückseite der Trucks, was den Fahrtwiderstand senkt. Sie wirken sich besonders günstig aus, wenn sie sich an die jeweilige Fahrsituation anpassen: Kommt der Wind direkt von vorne, sollten sie in einem Winkel von 14 Grad zur Windrichtung geneigt sein. Das reduziert den Unterdruck am Heck um etwa acht Prozent.

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Und wenn der Wind von der Seite kommt?

Seitenwind verändert die Situation: Trifft der Wind beispielsweise in einem Winkel von acht Grad auf den Truck, sollte sich die am stärksten angeströmte Klappe um 20 Grad verstellen. Durch diese Adaption sinkt der Unterdruck am Heck um ein weiteres Prozent. Die optimalen Anstellwinkel lassen sich aus einer Formel berechnen und bei der Regelung des Anstellwinkels berücksichtigen. Kurz gesagt: Klappe auf, Kosten runter.

Gibt es schon Prototypen der adaptiven Heckklappen?

IAV hat im Rahmen eines Eigenentwicklungsprojektes ein 1:10-Modell eines Lkws gebaut, mit Heckklappen ausgestattet und an der TU Berlin im Windkanal untersucht. So konnten wir zeigen, dass die adaptiven Klappen konventionellen Lösungen mit statischen Klappen messbar überlegen sind.

Was bedeutet das für den Kraftstoffverbrauch?

Mit Hilfe des weit verbreiteten Lastauto-Omnibus-Zyklus‘ haben wir berechnet, welche Einsparungen im realen Betrieb zu erwarten sind. Er beinhaltet Phasen mit hoher und geringer Geschwindigkeit, diverse Steigungen sowie Wind aus unterschiedlichen Richtungen. Ohne Klappen würde ein 40-Tonnen-Lkw mit einem 380 Kilowatt-Motor und einem Zwölfgang-Getriebe 34,8 Liter auf 100 Kilometern verbrauchen. Mit statischen Klappen sinkt dieser Wert auf 34 Liter, und dank der adaptiven Klappen nimmt der Kraftstoffverbrauch um weitere 0,1 Liter pro 100 Kilometer ab. Bei einer jährlichen Laufleistung von 150.000 Kilometern sparen statische Klappen bei einem Preis von 1,20 Euro pro Liter Diesel 1.296 Euro, während ihre adaptiven Pendants die Kraftstoffausgaben sogar um 1.494 Euro verringern.

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Sie wollen auch die Fahrerkabine aerodynamischer machen…

Ja, denn auch das ist durch die neue EU-Richtlinie jetzt möglich. Heute sorgt die Stirnfläche der Fahrerkabine für einen hohen Luftwiderstand. Würde man die Kabine verlängern, größere Rundungen einführen und die Außenspiegel anders gestalten oder durch Kameras ersetzen, ließen sich der cw-Wert verbessern und der Kraftstoffverbrauch verringern. Größere Radien erfordern aber eine längere Front – also genau das, was die neue EU-Richtlinie seit diesem Jahr gestattet. Wir entwickeln darum das Konzeptdesign für eine neue Lkw-Zugmaschine, das Aerodynamik und Sicherheit verbessert und zugleich absolut straßentauglich ist.

Wie sieht dieses Design aus?

Es sieht vor, die Lkw-Front um 80 Zentimeter zu verlängern und die Vorderachse um 40 Zentimeter zu verschieben. Das verschafft den Ingenieuren die nötigen Freiräume für ein deutlich runderes Design, das aerodynamisch optimiert ist. Allerdings sind viele Baugruppen des Lkws von dieser Änderung betroffen, darunter das Fahrwerk und der Rohbau. Und weil die Frontscheibe wesentlich runder werden soll, müssen wir uns auch über neue Konzepte für Scheibenwischer Gedanken machen.

Was bedeutet das neue Design für den Lkw-Fahrer?

Auch hier haben wir neue Freiheiten. Wir stellen uns beispielsweise die Frage, ob der Fahrer künftig in der Mitte sitzen und wie sein Wohnbereich aussehen soll. Der zusätzliche Platz in der Fahrerkabine ließe sich auch als Bürofläche nutzen: Wenn Lkws in Zukunft hoch automatisiert unterwegs sind, könnten die Fahrer nebenbei beispielsweise Schriftverkehr erledigen. Es tut sich also gerade eine Menge in der Lkw-Entwicklung.

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Innovationen in Serie
IAV steht für „Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr“ und ist einer der weltweit führenden Engineeringpartner der Automobilindustrie. Das 1983 gegründete Unternehmen beschäftigt rund 6.500 Mitarbeiter und entwickelt innovative Konzepte und Technologien für Fahrzeuge.

Alle weltweit namhaften Automobilhersteller und Zulieferer sind Kunden von IAV. Neben den Entwicklungszentren in Berlin, Gifhorn und Chemnitz/Stollberg verfügt IAV über zahlreiche Standorte in Europa, Asien sowie Nord- und Südamerika.

An IAV sind Volkswagen mit 50 Prozent und Continental Automotive mit 20 Prozent beteiligt. Schaeffler Technologies, Freudenberg SE und SABIC Innovative Plastics halten jeweils weitere zehn Prozent.[/highlight_area]

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