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Antizipatorische Logistik steuert eine simulierte Supply Chain und ist damit immer einen Schritt weiter als die Gegenwart

Predictive Analytics einen Schritt weitergedacht, das ist Anticipatory Logistics bzw. Vorwegnehmende Logistik. Noch ist das Konzept dieser vielversprechenden KI-Anwendung häufig mehr Theorie als Praxis. Aber es birgt großes Potential, die Supply Chain schneller, flexibler und gleichzeitig robuster zu machen. Wir erklären, was unter den Begriffen zu verstehen ist und wo die Anwendungsfelder in der Logistik liegen. Lässt sich mit Antizipatorischer Logistik tatsächlich die Zukunft vorwegnehmen? Zumindest könnte Antizipatorische Logistik eine vollständig simulierte Supply Chain steuern und wäre damit der Gegenwart immer um eine simulierte Zukunft voraus.

Was ist Predictive Analytics?

Das Ziel von Predictive Analytics ist es, mittels quantitativ und qualitativ ausreichenden direkten und indirekten Systemdaten und geeigneten Datenanalyseverfahren, Aussagen über den wahrscheinlichen zukünftigen (Teil-) Zustand dieses Systems zu errechnen. Dies erfolgt meist in einem Datenmodell, welches dann zukünftige Zustände des Systems simulieren kann. Das System kann dabei eine Fabrik oder ein Maschinenpark sein, oder es kann – im Fall der Logistik – auch ein Lager oder sogar eine ganze Lieferkette sein.

Predictive Analytics ist also eine Vorhersagemethode anhand von Analysen großer Datenmengen (Data-Mining) und deren Verwendung in Datenmodellen. Die eingesetzten Modelle werden mit den fortwährend zugeführten Daten immer umfänglicher, gleichzeitig können ihre selbstlernenden Algorithmen immer zuverlässigere Simulationen erstellen. Für die sehr rechenintensiven Simulationen und Modelle benötigt Predictive Analytics leistungsfähige Computersysteme. Deswegen gilt Predictive Analytics als eine besonders vielversprechende Anwendung für Künstliche Intelligenz (KI).

Was ist Anticipatory Logistics?

Einen Schritt weiter geht man, wenn man nun diese reine Analyseebene verlässt und daraus eine Handlungsebene ableitet. Man betrachtet dann nicht nur mögliche zukünftige Systemzustände, sondern unternimmt konkrete Handlungen, die die errechneten Vorhersagen in Richtung eines angestrebten Zustands verändern. Man handelt also vorausschauend und vorwegnehmend – und benutzt dafür als Basis und Entscheidungshilfe computergenerierte Zukunftsmodelle des Systems. In der Logistik werden diese noch sehr neuen Möglichkeiten der Digitalisierung ‚Anticipatory Logistics‘ oder auch ‚Predictive Logistics‘ genannt.

Ein Beispiel: Der Onlinehändler Amazon möchte mit seinem patentierten ‚Anticipatory Shipping‘ die Versandzeit verkürzen. Hierbei sollen die Produkte bereits vor tatsächlich getätigtem Kauf in ein Lager in Wohnortnähe des jeweiligen Kunden versendet werden. Als Entscheidungsbasis für diesen vorwegnehmenden Versand in Kundennähe dienen verschiedene Datenanalysen, aus denen sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für sich anbahnende spezifische Produktkäufe von bestimmten Kunden ableiten lassen.

Wir haben Thomas Reppahn, Leiter Zentrale Logistics Product and Process Management der Schenker Deutschland AG, auf das Thema Antizipatorischer Logistik angesprochen: „Man muss wissen, dass die simulationsbasierte Planung eines der ganz großen Ziele der Digitalisierung ist, das gilt nicht nur für die Logistik, sondern für alle Branchen. Wenn wir so weit sind, dass wir ganze Lieferketten vorausberechnen und -steuern können, dann kann man die Digitalisierung der Geschäftsprozesse nahezu als abgeschlossen betrachten. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg – für alle Firmen der Welt. Allerdings sind auch wir bei DB Schenker auf einem guten Weg dahin. Ein Anwendungsbeispiel für simulationsbasierte Planung ist unser Decision Support Tool.“

Das Decision Support Tool wird seit 2016 an einzelnen Lagerstandorten eingesetzt, um dort die Tagesplanung zu simulieren, die dann iterativ durch die Betriebsleitung optimiert werden kann. Die Simulation von Abläufen in einem Lager ist selbstverständlich überschaubarer als die Simulation einer ganzen Lieferkette, es eignet sich aber sehr gut für erste Erfahrungen auf dem Gebiet simulationsbasierter Planung.

Anwendungsfelder in der Logistik: Maintenance Logistics und Supply Chain Risk Management

Auch jenseits des Onlinehandels und der Lagerverwaltung finden sich ergiebige Anwendungsfelder für Anticipatory Logistics. So lässt sich mit den Daten der Predictive Maintenance, also der vorausschauenden Wartung, auch die für die Wartung benötigte Supply Chain der Verschleiß- und Ersatzteile erheblich beschleunigen. Der beauftragte Ersatzteillogistiker kann bereits vor der eigentlichen Wartung oder dem erwarteten Ausfall des Verschleißteils, den benötigten Ersatz zur Maschine liefern und damit die Stillstandszeit erheblich reduzieren – sei es als physische Lieferung oder als rechtzeitige Einreihung des Druckauftrags in die Warteschlange des örtlichen 3D-Druckers. Voraussetzung ist aber, dass der Ersatzteillogistiker in den Predictive Maintenance Prozess miteinbezogen wird. Hierfür muss eine Plattform zum sicheren Datenaustausch zwischen Unternehmen geschaffen werden, wie dies beim „Industrial Data Space“ angestrebt wird.

Auch das gesamte Supply Chain Risk Management lässt sich antizipatorischer gestalten. So können Live-Daten aus der Lieferkette, die etwa Tracking-Sensoren über den Zustand des Transportguts liefern, oder Verkehrsmeldungen in die Datenmodelle einfließen. Schon bei erwarteten Risiken für Transportgut oder Verzögerungen können Gegenmaßnahmen und Alternativen ergriffen werden, um die Lieferkette robuster zu gestalten.

Die Einsatzmöglichkeiten für eine Antizipatorische Logistik sind nahezu unbegrenzt, denn sie wachsen weiter mit dem Durchdringungsgrad der Digitalisierung. Derzeit steht die Antizipatorische Logistik jedoch noch ganz am Anfang ihrer Implementierung in laufende Geschäftsprozesse. Sie kann eher als Ziel einer ausgereiften Digitalisierung der Branche verstanden werden als ein weiterer Schritt dahin.

About the Author

Andreas Pietsch Der freie Journalist Andreas Pietsch ist auf Logistik-Themen spezialisiert. Er schreibt seit 1992 für DB Schenker beziehungsweise für die Vorgängergesellschaften. Am meisten angetan haben es ihm die Themen aus Landverkehr, Seefracht und Kontraktlogistik. Aber auch bei der Luftfracht weiß er, wie man einen Sachverhalt treffend auf den Punkt bringt.