Windkraft kennt keine Pause – und das gilt auch für die Beschäftigten in der Kontraktlogistik-Betriebsstelle von DB Schenker im norddeutschen Gallin. Denn so, wie sich die Windräder drehen und Strom erzeugen, so sind die Logistiker in Bereitschaft, um im Notfall Ersatzteile zu liefern. DB Schenker betreibt für den Windkraft-Anlagenhersteller Siemens Gamesa Renewable Energy das zentrale Ersatzteillager für den europäischen Raum. Von Gallin in Mecklenburg aus gelangen die Teile schnellstmöglich in alle Welt, um die Funktion der oft großen Windparks zuverlässig aufrecht zu erhalten.
Ähnlich wie die Flugzeugindustrie hat auch die Windkraftbranche bestimmte Situationen, die es um jeden Preis zu vermeiden gilt: „Turbine down“ ist der Worst Case für Anlagenbetreiber. Wenn aus irgendeinem Grund die bis zu 100 Meter langen Rotoren keinen Strom erzeugen können, müssen die Betreiber sofort handeln. Bei einem technischen Defekt müssen die Ersatzteile binnen kürzester Zeit bereitstehen. Egal, ob sich die Anlage im beschaulichen Emsland, im Saharawind Afrikas oder in rauer See mitten im Atlantik dreht.
Bereitschaftsdienst rund um die Uhr
„Wir arbeiten im Zwei-Schichtsystem jeden Tag bis 23:15 Uhr. Unsere speziellen Bereitschaftsdienste sorgen außerdem rund um die Uhr dafür, dass wir im Notfall ein angefordertes Ersatzteil innerhalb von vier Stunden versandfertig machen können“, erläutert Christoph Schultze, Head of Operations in Gallin. Zwei- bis dreimal in der Woche wird dieser Expressservice in Anspruch genommen. Dann müssen die Mitarbeitenden in Bereitschaft wie beim Feuerwehralarm zuhause in ihr Fahrzeug springen und nach Gallin eilen – im Zweifel am Wochenende und nachts um halb drei. Im Lager holen sie mit dem Stapler das benötigte Ersatzteil aus den Regalen, verpacken es und stellen es zum Versand bereit.
„Unter den geforderten Prämissen des Kunden muss bei der Ersatzteilbereitstellung jeder Handgriff sitzen. Da greift ein Zahnrädchen ins andere, damit sich die Windkraftanlage schnell wieder dreht“, sagt Schultze. Mit seinem industriellen Background aus der automatisierten Möbelfertigung hat er 2017 die Ersatzteillogistik für den Kunden implementiert und trägt seitdem die Verantwortung für das Geschäft. Siemens Gamesa Renewable Energy ist einer der größten Windkraftanlagen-Hersteller der Welt und hat für tausende Anlagen einen Servicevertrag übernommen. Die dafür nötigen Ersatzteile für mehr als 34.000 Turbinen in 58 Ländern liegen in Gallin.
Hervorragende Verkehrsanbindung zu günstigen Kosten
„Wir haben die Ausschreibung mit diesem Standort gewonnen, weil wir hier sehr wirtschaftlich arbeiten können und exzellente Verkehrsanbindungen nach Hamburg und Dänemark haben“, erläutert Schultze, der seit Beginn des Auftrags dabei ist.
Im dänischen Brande befindet sich ein Technology Centre von Siemens Gamesa Renewable Energy. Die wichtigsten Zulieferer produzieren in der weiteren Region. Alle besonders eiligen Flüge in die Welt hinaus starten vom kleinen Flugplatz Billund mit dem IATA-Code BLL aus. Die Stadt dürfte wohl jedem ein Begriff sein: Hier wurde Lego erfunden.
Für die Ausschreibung konnten die Logistiker auf die Expertise der DB Schenker-Geschäftsstelle Leipzig zurückgreifen: Die steuert nämlich den Nachschub für den Windkraftanlagen-Hersteller Vestas. Kein anderer Hersteller hat soviel Windkraft installiert wie Vestas – die Erfahrungen mit diesem großen Kunden führen dazu, dass das mecklenburgische Gallin organisatorisch an die DB Schenker-Geschäftsstelle im sächsischen Leipzig angebunden ist. Und das ist beileibe nicht das einzige Besondere an diesem Auftrag.
In acht Stunden versandfertig
Rund 18.000 verschiedene Teile bis zu fünf Tonnen Gewicht lagern im Europäischen Zentrallager in Gallin – von der Schraube über Zahnräder und Drehkränze bis zu Betriebsölen und Schmierstoffen. Alles muss in der Regel binnen acht Stunden versandfertig sein – darum kümmern sich aktuell 55 Mitarbeitende. Vor allem im Frühjahr ist das eine große Herausforderung für die Mannschaft. Denn dann machen sich die Herbststürme in den Anlagen bemerkbar. „Wir sind dann stärker gefordert“, sagt Schultze.
Den Auftrag erteilt Siemens Gamesa Renewable Energy über elektronische Schnittstellen an DB Schenker und zeitgleich an einen externen Transportdienstleister, der die Fracht in Gallin abholt. Anschließend starten die Mitarbeitenden mit der Kommissionierung und Verpackung: Größere und maßgeschneiderte Verpackungen erstellt ein benachbarter Dienstleister. In der Zwischenzeit statten die Logistiker das Frachtstück mit der nötigen Begleitdokumentation aus, damit die Techniker in aller Welt jederzeit auf die aktuellen Betriebsanweisungen in ihrer Sprache zurückgreifen können. Anschließend wird die Fracht an der Rampe der DB Schenker-Halle zum Transport bereitgestellt und abgeholt.
Hohe Qualitätsanforderungen
Bei Warenanlieferung ist der Zeitdruck geringer, der Aufwand jedoch ebenfalls hoch. Denn DB Schenker übernimmt nun bei der Vereinnahmung eine umfassende Qualitätskontrolle: Alle Teile werden optisch begutachtet und digital erfasst, bevor die Teile eingelagert werden. Gleichzeitig prüfen spezielle Inventurteams rund um die Uhr, ob der Warenbestand mit den digitalen Angaben übereinstimmt. So weiß der Kunde immer, welche Teile sich in dem Lager befinden. „Wir wissen, wie wichtig solche Maßnahmen sind, um die außerordentliche hohe Qualität unserer Services zu garantieren“, sagt Schultze.
Gleichzeitig suchen Siemens Gamesa Renewable Energy und DB Schenker als Partner nach Möglichkeiten, um die hohen Schwankungen bei den Aufträgen zu glätten. „Das ist ein absolut partnerschaftliches Verhältnis – immer sehr lösungsorientiert“, sagt Schultze. „Da haben wir sehr viel Glück mit dem Kunden.“
About the Author
Axel Novak ist freier Journalist in Berlin. Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftigt er sich mit der Logistik-Branche und den Veränderungen, denen sie unterworfen ist. Axel Novak schreibt für Zeitungen, für Zeitschriften und für Unternehmen. Seine Schwerpunkte sind allgemeine Wirtschaftsthemen mit dem Fokus auf Mobilität, IT, Energie und Finanzen.